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Mitteilungen der Universität Regensburg

Lernstrategien – wie lernen wir am besten?

UR-Psycholog*innen legen methodische Schwächen in einer der bekanntesten Studien zur Effektivität von Lernstrategien offen


01. Februar 2024

Lernen und Bildung sind Zukunfts- und Schlüsselthemen, die den Charakter einer Gesellschaft mitbestimmen, und die Frage, wie wir am besten lernen, stellt ein Kernthema der Psychologie dar. Seit fast zwanzig Jahren bildet der sogenannte „Effekt der Testung“ – durch Abtesten der zu lernenden Inhalte bleiben diese länger im Gedächtnis – einen der Schwerpunkte in der kognitionspsychologischen Grundlagen- und angewandten Forschung dar.

Basierend auf einer prominenten Studie, die in der hochrangingen Fachzeitschrift „Science“ publiziert und bislang über tausendmal zitiert wurde, nahm man bisher an, dass Lernen durch einfaches Abtesten sogar Lernformen überlegen sei, die stärker auf verstehendes Lernen ausgerichtet sind. Lernen durch Abtesten findet typischerweise statt, wenn wir Vokabeln lernen und uns dabei selbst abfragen, also die gelernten Vokabeln so, wie wir sie uns eingeprägt haben, wieder aus dem Gedächtnis abrufen und vorsagen. Diese Art des Lernens stelle nun, gemäß jener Studie, auch für das Lernen von zusammenhängenden Texten die optimale Lernmethode dar, die sogar effektiver sei als verstehensorientierte Lernmethoden. Ein Beispiel für eine solche verstehensorientierte Lernmethode ist das Erstellen einer sogenannten „Concept Map“. Dabei werden die in einem Text enthaltenen Gedanken, Ideen und Assoziationen strukturiert herausgearbeitet und grafisch dargestellt. Der Befund, dass Lernen durch einfaches Abtesten verstehendorientierten Lernstrategien überlegen sei, wurde von vielen Medien unkritisch übernommen und in die Öffentlichkeit getragen. So titelte beispielsweise damals eine überregionale deutsche Tageszeitung: „Ein Loblied auf das gute, alte Auswendiglernen“.

Ein Team um Roland Mayrhofer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie an der Universität Regensburg, überprüfte nun diese Befunde und fand dabei heraus, dass der in der damaligen Studie beobachtete Vorteil des einfachen Abtestens gegenüber verstehensorientierten Lernstrategien in Wirklichkeit gar nicht an den jeweiligen Lernstrategien selbst lag. Stattdessen war die angebliche Überlegenheit des Abtestens in Wirklichkeit auf eine Schwäche in der damals verwendeten Methodik zurückzuführen: Die Probanden, die durch Abtesten lernen sollten, wurden nicht nur getestet, sondern konnten sich den Text ein weiteres Mal für fünf Minuten einprägen. Im Gegensatz dazu erstellten die Probanden, die mit Concept Mapping lernen sollten, nur eine Concept Map des Textinhalts, ohne dass ihnen die Gelegenheit gegeben wurde, sich die Lerninhalte ein weiteres Mal einzuprägen.

Dadurch hatten die Probanden in der Concept-Mapping-Lernbedingung nur halb so viel Zeit zum Einprägen zur Verfügung wie die Probanden in der Abtesten-Lernbedingung. Zudem wurde dadurch die Lernstrategie des Concept Mapping auf eine Weise umgesetzt, die im Lernalltag nicht vorkommt, weil niemand zur Prüfungsvorbereitung eine Concept Map erstellen würde, ohne sich diese anschließend für die anstehende Prüfung einzuprägen. Das Team um Mayrhofer führte nun eine umfangreiche Studie mit 230 Probanden durch, in der sowohl für das Lernen durch Abtesten wie auch für Lernen mit Concept Mapping dieselbe Zeitspanne zum Einprägen zur Verfügung stand. Unter diesen Bedingungen verschwand der Vorteil des einfachen Abtestens gegenüber dem Erstellen einer Concept Map vollständig.

Dieses Ergebnis zeigen zum einen, dass der in vielen Fachartikeln zitierte und von zahlreichen Medien in die Öffentlichkeit getragene Befund, Lernen durch einfaches Abtesten wäre verstehensorientierten Lernformen überlegen, in Wirklichkeit lediglich auf unterschiedlich langen Lernzeiten beruht. Zum anderen weist dieses Ergebnis darauf hin, dass selbst Befunde, die in hochrangigen Fachzeitschriften publiziert und vielfach zitiert wurden, immer wieder reflektiert und überprüft werden müssen. Daher weist Mayrhofer darauf hin: „Studien sollten nicht unkritisch und vorschnell auf die Unterrichtspraxis übertragen werden. Denn das kann dazu führen, dass eigentlich optimale, seit langem bekannte Lernmethoden durch Befunde in Frage gestellt werden, welche in Wirklichkeit auf einer problematischen Umsetzung von etablierten Lernstrategien im Labor beruhen.“

Originalpublikation: 
Mayrhofer, R., Kuhbandner, C., Frischholz, K. (2023). Re-examining the testing effect as a learning strategy: the advantage of retrieval practice over concept mapping as a methodological artifact. Frontiers in Psychology 14:1258359. doi: 10.3389/fpsyg.2023.1258359
https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyg.2023.1258359/full 


Informationen/Kontakt

Roland Mayrhofer
Institut für Psychologie
Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie
Tel: +49 (0) 941 943-3598
E-Mail: roland.mayrhofer@psychologie.uni-regensburg.de
 

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