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Geschichte der Eichendorff-Gesellschaft(en) e.V.

© Ursula Regener: Zur Geschichte der Eichendorff-Stiftung und der Eichendorff-Gesellschaft (3.10.2016)

Die Eichendorff-Gesellschaft widmete sich der Erforschung von Leben, Werk und Wirkung Joseph von Eichendorffs (1788–1857) sowie allgemein der Literatur, Kunst und Musik der klassisch-romantischen Zeit. Sie trug zur Klärung und angemessenen Würdigung romantischer Kultur bei und verdeutlichte deren übernationale Geltung.

Die ersten Vereinigungen zur Pflege des Eichendorffschen und romantischen Erbes datieren zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Auf Initiative des preußischen Offiziers und Dichterenkels Carl Freiherr von Eichendorff, des damals Czernowitzer Literaturprofessors Wilhelm Kosch und des Gleiwitzer Justizrats und Leiter des Oberschlesischen Museums Arthur Schiller wurde 1913 anlässlich des 125. Geburtstags Eichendorffs in Gleiwitz die erste „Deutsche Eichendorff-Gesellschaft“ gegründet.

Organe dieser Gesellschaft waren
• das 1910 von Wilhelm Kosch begründete und von ihm herausgegebene romantische Jahrbuch „Eichendorff-Kalender“ (1910-1929/30),
• das „Nachrichten-Blatt der der Deutschen Eichendorff-Gesellschaft“ (1914-1917) und eine
• Monatsbeilage zur Neisser Zeitung: „Eichendorff-Blätter für Literatur, Kunst und Wissenschaft“.

Da Wilhelm Kosch mit der auch kriegsbedingten Stagnation der Gleiwitzer Eichendorff-Gesellschaft haderte, warb er 1917 in München zusammen mit Erwein von Aretin, Mathäus Schiestl und Hans von Hammerstein für Mitgliedschaft im „Deutschen Eichendorff-Bund“.

Organe dieses Bundes waren:
• weiterhin: der „Eichendorff-Kalender“ (bis 1929/30),
• die in Verbindung mit dem Eichendorff-Bund von Wilhelm Kosch begründete und herausgegebene Vierteljahrs- und zeitweilige Monatsschrift „für alle Zweige der Kultur“ „Der Wächter“ (1918-1961), in der Eichendorff (1918-1925/26) eine Rubrik „Mitteilungen des Eichendorff-Bundes“ füllte,
• 5 Hefte „romantische fliegende Blätter“ mit dem Titel „Rübezahl“ (1919).

1931 rief der Lehrer und Redakteur Karl Sczodrok (wiederum unter Beteiligung Karl Freiherr von Eichendorffs) in Oppeln die „Deutsche Eichendorff-Stiftung“ ins Leben, die das Eichendorff-Engagement zunehmend in einer nationalsozialistischen Grenzland-Propaganda aufgehen lässt und die ihre ideologisch kontaminierten Beiträge zur Romantikforschung bis 1943
• in dem von Karl von Eichendorff und Adolf Dyroff seit 1929 herausgegebenen romantischen Almanach „Aurora“ unter dem publizistischen Dach der von Karl Sczodrok herausgegebenen Monatsschrift „Der Oberschlesier“ in Oppeln publizierte.
Am 29.11.1935 eröffnete die Deutsche Eichendorff-Stiftung in Eichendorffs Sterbehaus in Neisse (Mittelstraße 15, später Eichendorffstraße 22) das Deutsche Eichendorff-Museum, das zunächst unter die Leitung des Journalisten Bruno Tschierschke gestellt wurde. Ab 1936 leitete der aus Oppeln nach Neisse versetzte Studienrat Willibald Köhler das Museum. Am 1.7.1937 trat Karl Willi Moser sein Amt als Kustos des Museums an. 1938 übernahm der oberschlesische Gauleiter und Landeshauptmann Josef Joachim Adamczyk die Leitung des nun eingetragenen Verein Deutsche Eichendorff-Stiftung, dessen Satzung die Mitgliedschaft auf Arier beschränkt. 1940 wurde die Eichendorff Stiftung der Stiftung Oberschlesien unter Landesrat Georg Kate eingegliedert.

Am 28.11.1941 übernahmen der Reichsdramaturg Rainer Schlösser vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda den Vorsitz der Deutschen Eichendorff-Stiftung und der gleichzeitig für Auschwitz zuständige Gauleiter Fritz Bracht die Schirmherrschaft der Stiftung Oberschlesien. Die zunehmende Heroisierung Eichendorffs gemäß der expansiven NS-Kulturdoktrin verband sich mit dem Anliegen der Stiftungsmitglieder und Museumsverantwortlichen, Oberschlesien national stärker zu integrieren.

Vom 4.–8.9.1942 erfolgte die Deportation von Hilda Schulhof, der jüdischen Herausgeberin der Eichendorff-Jugendgedichte und Mitherausgeberin der HKA1-Gedichtbände, von Prag nach Theresienstadt und von dort in das Vernichtungslager Maly Trostenets. Kurz darauf (25.–30.11.1942) propagierte die Stiftung Oberschlesien die nationalsozialistische Bedeutung Eichendorffs mit einer Festwoche in Kattowitz.

In der Nacht vom 14. auf den 15.3.1945 wurde das Deutsche Eichendorff-Museum in Neisse bei einem Luftangriff zerstört. Das Kriegsende überlebten die politischen Funktionäre der Stiftung Oberschlesien nicht, den ideologisch kollaborierenden Gründungsmitgliedern der Eichendorff-Stiftung (Karl Sczodrok, Alfons Hayduk, Willibald Köhler, Karl Willi Moser) gelang die Flucht nach Bayern.

Im Zuge seiner Etablierung des Schlesischen Kulturwerks konstituierte sich am 15.11.1952 unter Karl Sczodrok, der sich seit 1939 Schodrok schrieb, in Regensburg eine neue Eichendorff-Stiftung als e.V., die auch den Eichendorff-Bund miteinbezog. Zu den Mitgliedern gehörten die aus Neisse geflohenen Eichendorff-Protagonisten. Die „Aurora“ bekam den Untertitel „Eichendorff-Almanach" und erschien nach dem Krieg erstmals wieder 1953 (hg. von Karl Schodrok).

1969 wurde die Vereinigung – um ideologischen Ballast abzuwerfen –umbenannt in „Eichendorff-Gesellschaft“ und wirkte zunächst vornehmlich in Würzburg. Die „Aurora“ wurde als „Jahrbuch der Eichendorff-Gesellschaft“ fortgeführt und entwickelte sich durch eine zunehmende Öffnung gegenüber dem kulturgeschichtlichen Umfeld von Eichendorffs Leben und Werk und seinen umfangreichen Rezensionsteil zu einem der führenden Publikationsorte und Referateorgane zur klassisch-romantischen Zeit.
Weitere Organe der Gesellschaft waren das „Nachrichten-Blatt der Eichendorff-Gesellschaft“ (13 Folgen 1975-1987) und die „Apropos Eichendorff“-Beiträge (7 Folgen 1995–2004).

Von 1983 bis Mitte 2008 hatte die Gesellschaft ihren Sitz in Ratingen-Hösel. Sie unterhielt hier, im Oberschlesischen Landesmuseum, die Geschäfts- und Forschungsstelle mit Archiv und Bibliothek sowie eine Ausstellung mit Exponaten zu Eichendorffs Leben und Werk. Präsidenten der Gesellschaft waren die Univ.-Professoren Dr. Hermann Kunisch (1969–1975), Dr. Wolfgang Frühwald (1975–1976), Dr. Helmut Koopmann (1976–1984), Dr. Peter Horst Neumann † (1984–2002), Dr. Gunnar Och (2002–2006); Prof. Dr. Ursula Regener (2006-2010).

Im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Tätigkeit der Gesellschaft standen die Herausgabe des Jahrbuchs AURORA, die Historisch-kritische Edition der Sämtlichen Werke Eichendorffs sowie internationale Kongresse, die alle zwei Jahre stattfanden. Dort wurden Ergebnisse und neue Aspekte der Eichendorff- und Romantikforschung vorgestellt und diskutiert.

Anlässlich ihrer Kongresse verlieh die Gesellschaft seit 1974 die Eichendorff-Medaille an Germanisten, Publizisten und Schriftsteller, die sich in ihrem Schaffen wissenschaftlich, kritisch oder kreativ mit Eichendorffs Leben und Werk auseinandergesetzt haben. Ebenfalls alle zwei Jahre wurde zudem der (nach seinem Stifter benannte) „Oskar Seidlin-Preis" zur Förderung junger Literaturwissenschaftler vergeben, die sich in der Romantik- und Eichendorff-Forschung hervorgetan haben.
Die Gesellschaft hatte zeitweise über 400 Mitglieder (Stand: Oktober 2006) aus dem In- und Ausland. Eine japanische Zweigstelle bestand in Tokio. Alle zwei Jahre fanden internationale Kongresse zur Romantik-Forschung statt.

Durch Beschluss der Mitgliederversammlung vom 9.10.2010 löste sich die Eichendorff-Gesellschaft auf, nachdem sich niemand bereit erklärt hatte, in der Vorstandschaft aktiv mitzuwirken oder die Präsidentschaft des Vereins zu übernehmen. Das Vermögen der Gesellschaft fiel an das Freie Deutsche Hochstift in Frankfurt am Main. Die Homepage der Gesellschaft wird unter dem Namen „Eichendorff-Forum" weitergeführt. Der Oskar-Seidlin-Preis wird im Namen des Eichendorff-Forums und des Freien Deutschen Hochstifts weiterhin ausgeschrieben.

Quellen:
Der Wächter und Eichendorff-Kalender. Gesamt-Inhaltsverzeichnis, bearb. von Franz Heiduk und Wolfgang Kessler, Sigmaringen 1985 (= Aurora-Buchreihe 4); Nachrichten-Blatt der Eichendorff-Gesellschaft, Nr. 1 (1975); Franz Heiduk, Zur Geschichte der Eichendorff-Gesellschaft, in: Joseph Freiherr von Eichendorff 1788–1857. Leben, Werk, Wirkung. Eine Ausstellung der Stiftung Haus Oberschlesien und des Landschaftsverbandes Rheinland, Rheinisches Museumsamt, Abtei Brauweiler, in Zusammenarbeit mit der Eichendorff-Gesellschaft, Köln, Dülmen 1983, S. 207–218; Für die Jahre 1913-1942: Martin Hollender, Die politische und ideologische Vereinnahmung Joseph von Eichendorffs, Einhundert Jahre Rezeptionsgeschichte in der Publizistik, 1888–1988, Frankfurt/Main u. a. 1997, S 108–223. – Ralf Klausnitzer, Blaue Blume unterm Hakenkreuz. Die Rezeption der deutschen literarischen Romantik im Dritten Reich, Paderborn, München, Wien, Zürich 1999, Kap. 4: Der „deutscheste der deutschen Dichter“ im Dritten Reich. Eichendorff-Pflege zwischen „Grenzlandkampf“ und „Reichsangelegenheit“, S. 585–614. – Ausführliche Fassung des obigen Textes: Ursula Regener, Eichendorff, nachgelassen. Provenienz, Profil und ein besonderes Blatt der Sammlung Steinsdorff, in Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 2016, S. 211-246.


Mit der Darstellung der Geschichte der Eichendorff-Stiftung ist keinerlei Einverständnis verbunden. Vielmehr steht man vor der immer noch ungelösten Frage, wie diese Engführung von kulturellem Interesse und ideologischem Opportunismus, der sogar den Verlust einer zentralen Forscherpersönlichkeit ausblendet, verarbeitet werden kann.

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  1. Fakultät für Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften
  2. Institut für Germanistik

EICHENDORFF-FORUM


Ansprechpartnerin:
Prof. Dr. Ursula Regener
Universität Regensburg
Institut für Germanistik
D-93040 Regensburg
Tel. +49 941 943-3453
Fax +49 941 943-4960