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Bayerns Justiz in der Corona-Pandemie

Vier Fragen an die Rechtswissenschaftlerin Dr. Patricia Altenburger zu ihrer Studie „Dispensierter Rechtsstaat?"


5. September 2024

Die Corona-Pandemie der Jahre 2020 bis 2022 hat Spuren hinterlassen, bei den Menschen, bei Institutionen, in der Politik.

Diskussionen um die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen, um das, was man durfte oder nicht durfte, sind wissenschaftlich bislang wenig unterfüttert. Die Juristin Patricia Altenburger gehört zu den wenigen, die Aspekte dieser Thematik nun in ihrer Dissertation an der Universität Regensburg systematisch aufgearbeitet haben: Am Lehrstuhl von Prof. Dr. Alexander Graser (Öffentliches Recht und Politik, insbesondere europäisches und internationales Recht sowie Rechtsvergleichung) hat sie in ihrer Untersuchung „Dispensierter Rechtsstaat?“ Verfahren und Entscheidungen der Gerichte des Freistaates Bayern, die die politischen Maßnahmen, von Maskenpflicht bis Ausgangsbeschränkungen prüften, zusammengestellt und ausgewertet.

Altenburgers Studie erschien unlängst im Nomos-Verlag Baden-Baden in der Reihe „Studien zum öffentlichen Recht“. Die Redaktion fragte nach.

Cafeteria in Zeiten Coronas. Foto © Julia Dragan / Universität Regensburg

Konnte sich der Rechtsstaat in der Corona-Krise behaupten, Frau Altenburger?

In den ersten Monaten der Pandemie waren die Maßnahmen pauschal, global und äußerst intensiv. Man durfte raus, um einzukaufen oder zum Arzt zu gehen. Das war dem Unwissen über das Corona-Virus geschuldet und entsprechend zurückhaltend agierten die Gerichte. Es kam zu einer regelrechten Schockstarre. Die Gerichte gaben der Exekutive somit häufig grünes Licht, egal, wie freiheitsbeschränkend und möglicherweise auch rechtswidrig die Maßnahme war. Sie steckten in der Anfangsphase in einem Dilemma: unter Anwendung der gängigen Rechtsstandards entscheiden und dabei womöglich Menschenleben in Kauf nehmen oder den Fokus auf den Schutz von Leben setzen – dann aber zu Lasten des Rechtsstaats. Erst nach Ende des Katastrophenfalls, Mitte Juni 2020, als es mehr Informationen zur Situation gab, fielen die Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs differenzierter aus.

Gab es bayerische Besonderheiten?

Bayern war zu Beginn der Pandemie immer einen Tick früher dran und auch ein wenig strenger. Die Stichworte lauteten „Umsicht und Vorsicht“. Die bayerischen Maßnahmen orientierten sich zudem auch ein wenig daran, sich von den anderen Bundesländern abzuheben. Schließlich ist in Bayern die Verflechtung von Politik und Verwaltungsgerichtsbarkeit stark ausgeprägt. So verbringen die bayerischen Verwaltungsrichter*innen oftmals auch eine gewisse Zeit am Innenministerium oder an einem Landratsamt. Das Verständnis für die „andere Seite“ ist daher groß – das kann sich positiv wie negativ auswirken.

Sie waren in der Pandemie-Zeit im Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus tätig. Wie hilfreich waren diese Einblicke?

Sehr. Ohne diese Einblicke wäre es ein anderes Buch geworden. Man verfolgt das Pandemiegeschehen als Mitglied einer Behörde ganz anders. In meiner Arbeit beschäftigte ich mich beispielsweise mit den Auswirkungen der erfolglosen Verfahren. Von außen betrachtet mögen diese schlicht erfolglos erscheinen. Blickt man jedoch hinter die Kulissen, sieht man sehr wohl, welche Bedeutung sie haben. Nicht selten kam es im Anschluss an ein erfolgloses Verfahren zur Anpassung einer Norm – und zwar ganz im Sinne der Antragssteller. 

Was empfehlen Sie der Politik im Vorfeld kommender Pandemien?

Besser vorbereitet zu sein. Eine Pandemie in einer globalisierten Welt ist nun nichts mehr, was die Politik völlig unerwartet treffen sollte. Daher gilt es, die Corona-Pandemie gründlich aufzuarbeiten, um zu lernen, was gut ging und was schieflief. Freilich lässt sich keine Blaupause erstellen, aber ein Fahrplan für künftige Pandemien ist machbar. Für das Recht bedeutet das: Befugnisse müssen vorab für verschiedene Szenarien festgelegt sein und können dann im Einzelfall angepasst werden. Auch das "Drumherum“, etwa das Monitoring der Maßnahmen oder die Auswertung von Daten, lässt sich regeln. Zwar ist es immer leicht, im Nachhinein schlauer zu sein. Aber wir müssen aus der Erfahrung lernen. Not kennt Gebot und die Grundrechte müssen auch, vielleicht sogar erst recht, in einer Krisensituation gewahrt werden.

Originalpublikation:

Patricia Altenburger. Dispensierter Rechtsstaat? Bayerns Justiz in der Corona-Pandemie. Reihe: Studien zum öffentlichen Recht. 2024, Nomos-Verlag, Baden-Baden. ISBN print: 978-3-7560-1828-4; ISBN online: 978-3-7489-4491-1

Open Access: Das Buch steht online zum kostenfreien Download bereit unter doi.org/10.5771/9783748944911

Informationen/Kontakt

Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Politik, insbesondere europäisches und internationales Recht sowie Rechtsvergleichung

Prof. Dr. Alexander Graser, Dr. Patricia Altenburger

Ein Beitrag zum Thema mit Verweis auf das Buch erschien unlängst in der Süddeutschen Zeitung

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