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Mitteilungen der Universität Regensburg

Wie die Spintronik nach Regensburg kam

Zum  Abschied von Professor Dieter Weiss - ein Physiker der zweiten Generation


24. Mai 2024

In den Ruhestand wollte er noch nicht so schnell wechseln. Und das ist ihm auch gut gelungen. Zwölf Jahre lang war Dieter Weiss als Sprecher des Sonderforschungsbereichs (SFB) „Spinphänomene in reduzierten Dimensionen“ aktiv bis dieser 2017/2018 auslief. Direkt im Anschluss gelang es ihm, 2,5 Mio. Euro im Rahmen eines Advanced Grant des European Research Councils einzuwerben. Das ermöglichte Weiss, seine Forschungsarbeiten bis 2024 fortzuführen und seinen Ruhestand um drei Jahre herauszuschieben. Auch wenn er inzwischen nur noch ein Büro, aber keine Labore mehr nutzen kann, ist er noch aktiv in Projekte involviert, die bis Ende 2025 laufen. Gutachten müssen geschrieben und Publikationen beendet werden. Ende des Jahres ist noch eine Abschiedsvorlesung geplant. „Das Arbeitspensum und die Verpflichtungen nehmen aber spürbar ab“, sagt Weiss.

Dieter Weiss hat an der LMU studiert, an der TU München promoviert und war Teamleiter am MPI für Festkörperforschung in der Gruppe des Nobelpreisträgers Klaus von Klitzing in Stuttgart. 1995 erhielt er als junger Wissenschaftler einen Ruf an die damals „Naturwissenschaftliche Fakultät II – Physik“ genannte „Fakultät für Physik“. Weiss war der erste Physiker der zweiten Generation in Regensburg. Er brachte die Forschung zu Halbleiternanostrukturen nach Regensburg.

Professor Dieter Weiss im Austausch. Foto: Julia Dragan/Universität Regensburg

Weil sich sein Vorgänger mit einem anderen Themengebiet, der Polymerphysik, beschäftigte, stand für ihn eine längere Phase der Aufbauarbeit an. „Geräte mussten beschafft, ein Reinraum aufgebaut werden“, erzählt Weiss. Bis dieser nutzbar war, konnten die ersten Mitarbeitenden für ihre Diplom- und Doktorarbeiten die Ausstattung in seiner früheren Arbeitsgruppe in Stuttgart nutzen.
1999 reichte er mit Kollegen einen ersten Antrag für einen Sonderforschungsbereich ein. „Damals gab es einen einzigen Sonderforschungsbereich an der Universität Regensburg – und zwar in der Biologie“, sagt Weiss. Sein Anliegen war, bereits bestehende Forschungsbereiche wie die Halbleiterphysik und den Magnetismus unter dem damals im Aufwind befindlichen Forschungsgebiet „Spintronik“ zusammenzubringen.

Die Spintronik nutzt die Tatsache, dass Elektronen – die negativ geladenen Elementarteilchen eines Atoms – nicht nur verwendet werden können, um ihre Ladung in Form von elektrischem Strom zu transportieren. Elektronen haben nämlich eine weitere Eigenschaft – ihren inneren Drehsinn, auch Spin genannt. Der Spin eines Elektrons ist eine quantenmechanische Eigenschaft, die sich als Drehung um die eigene Achse beschreiben lässt. Dieser Drehsinn hat zwei verschiedene Richtungen: Das Elektron kann sich links- oder rechtsherum drehen. Unabhängig von der Richtung erzeugt die Drehung ein magnetisches Moment. Die Elektronen können deshalb stark vereinfacht als winzige Magnete betrachtet werden, die durch externe Magnetfelder gezielt gesteuert werden können. Die Nutzung der magnetischen Eigenschaften von Elektronen ermöglicht völlig neue Anwendungen – vor allem auch im Bereich der Halbleiterelektronik.

Obwohl das Forschungsgebiet „Spintronik“ schon damals vielversprechend war, brauchte es einen zweiten Anlauf für den SFB. „Uns fehlte die kritische Masse“, sagt Weiss. Weil die Gutachter an zwei der 13 beteiligten Projekte zweifelten, rutschte der gesamte Antrag unter die für SFBs vorgesehenen Limits. Sonderforschungsbereiche haben das Ziel, wissenschaftlich hervorragende Verbünde eng kooperierender Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu fördern und zum Auf- und Ausbau von Forschungsschwerpunkten beizutragen. Dazu wird eine große Anzahl renommierter Forscher für Kooperationen benötigt, die an einem übergeordneten Thema zusammenarbeiten.

„Vorteilhaft war, dass ich anfangs in jeder Berufungskommission dabei war und dadurch einen großen Einfluss auf das neue Profil der Fakultät hatte“, sagt Weiss. So konnte er eine Basis für einen weiteren Antrag schaffen. Bis es so weit war, nutzte er das kleinere Förderformat der Forschergruppe und ein DFG-Graduiertenkolleg, um Gelder für seine Projekte einzuwerben.

Volles Symposium zur Verabschiedung von Professor Weiss am 12. April 2024 Foto: Julia Dragan/Universität Regensburg

Der nächste SFB- Antrag war erfolgreich. 2006 konnte Weiss als Sprecher des ersten Sonderforschungsbereichs der Physik „Spinphänomene in reduzierten Dimensionen“ seine Arbeit aufnehmen. Alle Neuberufenen waren an dem Antrag beteiligt.
Seinen Arbeitsschwerpunkt beschreibt Weiss als reine Grundlagenforschung. Seine Arbeitsgruppe beobachtete und beschrieb beispielsweise die Ladung und Spin von Elektronen unter Extrembedingungen – etwa in ultradünnen Schichten von Graphen – zweidimensionalen Strukturen aus Kohlenstoffatomen, oder in topologischen Isolatoren, einer Materialklasse, auf deren Oberfläche sich Elektronen im Idealfall, den quantenmechanischen Gesetzen folgend, verlustfrei bewegen können, ohne Abwärme zu erzeugen. Ihn interessierte, wie sich das Verhalten der Elektronen bei tiefen Temperaturen oder in einem Magnetfeld in bestimmten Halbleiterwerkstoffen wie etwa Galliumarsenid verändert und wie der Spin von Elektronen als Grundlage für die Entwicklung neuer Klassen von Transistoren genutzt werden könnte.

Schon vor seinem Ruf nach Regensburg entdeckte Dieter Weiss ein Quantenphänomen, das später sogar nach ihm benannt wurde – die so genannten Weiss-Oszillationen. Erst 2020 wurde er dafür mit dem Edison Volta Preis ausgezeichnet. Die Oszillationen tragen zum Verständnis der Quantenmechanik bei, etwa indem sie Erkenntnisse über die Wechselwirkung von Elektronen in Magnetfeldern und periodischen Potentialen liefern und helfen, die Oberflächeneigenschaften von topologischen Isolatoren zu charakterisieren.

Die Liste seiner akademischen Positionen und Aufgaben ist lang. Zweimal war er Dekan der Fakultät für Physik, zweimal Mitglied des Senats, er war stellvertretender Vorsitzender des Hochschulrats der Universität Regensburg und Mitglied verschiedener wissenschaftlicher Beiräte. Die Ämter hat er inzwischen fast alle abgelegt. Eine weitere wichtige Funktion aber ist auf einen Kollegen und eine frühere Mitarbeiterin übergegangen – die örtliche Leitung der Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Regensburg. Zwischen 1998 und 2022 war er für die Koordination und Planung der Veranstaltungen in Regensburg verantwortlich, an der jeweils rund 5000 Physikerinnen und Physiker aus der ganzen Welt teilnahmen.

KS
 

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