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Untersuchungsfelder

Untersuchungsfelder und -perspektiven

Bei den hier skizzierten Untersuchungsfeldern handelt es sich - auch im Sinne einer angestrebten Offenheit für innovative und eigenständige Promotionsprojekte - nicht um streng abgegrenzte und auf Vollständigkeit bedachte Felder, sondern eher um methodische Schwerpunktsetzungen, die auf transdisziplinäre Bearbeitung angelegt und durch bisherige Forschungen zu vormoderner Metropolität, insbesondere auch durch Regensburger Vorarbeiten, ausgewiesen sind.


Metropolitane Geltungsansprüche

Identität, Repräsentation, Geschichtlichkeit.

Der Pariser Gelehrte Alexandre Le Maître führte im Jahr 1682 die beherrschende Rolle von Paris und London unter den Städten der Welt auf drei Faktoren zurück: Beide seien der Mittelpunkt bedeutender Reiche, in denen erstens der Thron des Herrschers, zweitens die wichtigsten Märkte und Finanzinstitutionen und drittens „la gloire, la valeur et la force d'un pays“ vereinigt seien. Das historische Argument der ruhmvollen Vergangenheit korrespondiert in seiner Bewertung mit den aktuellen Machtverhältnissen in Europa und in Übersee. Damit erfasst Le Maître ein Kriterium, das in vielen modernen Metropolendefinitionen übersehen wird: Metropolität konstituiert sich in diesem Sinne durch ein stark ausgebildetes Selbstbewusstsein von Städten und der sie prägenden Eliten, einem besonderen Gemeinwesen anzugehören, aus dessen Größe, Macht und Geschichte sich aktuelle politische oder kulturelle Ansprüche ableiten lassen. Entsprechende Selbstäußerungen können in fundierenden Stadtgeschichten und Gründungsmythen genauso verortet werden wie in architektonischen Inszenierungen oder herrschaftlichem Handeln. Metropolen sind in diesem Sinne bewusst gestaltete Erinnerungsräume inhärent, in denen die identitätsstiftenden Narrative dargestellt und gedeutet werden.

Bereits 1984 hat G. Dragon der byzantinischen Reichskapitale Konstantinopel ein „Constantinople imaginaire“ gegenübergestellt, dessen Konstruktion in spätantiken und frühmittelalterlichen Texten wie in Denkmälern und Architekturen einen heilsgeschichtlichen Geltungsanspruch der Stadt reklamiert. Die Veränderungspotentiale der Metropole zeigen sich nicht zuletzt in den vielschichtigen literarischen und kulturellen Diskursen über sie, welche nicht nur affirmativ/zukunftsbezogen, sondern auch satirisch, negativ, nostalgisch sind; die Prozesshaftigkeit des Metropolitanen wird hier besonders deutlich. Eine spezifische Form der Selbstreferentialität ist der tatsächliche oder virtuelle Austausch mit unbestrittenen metropolitanen Vorbildern. Dieser transmetropolitane Diskurs zeigt sich auch in Selbststilisierungen antiker oder mittelalterlicher Städte als „Roma nova“ oder in feierlich inszenierten Reliquientransfers etwa von Alexandria nach Venedig (Markus) oder von Mailand nach Köln (Drei Könige). Auch die Ausrichtung lokaler Liturgien auf überörtlich verbindliche Muster und ihre Ausbreitung beinhaltet Aussagen über Geltung und Wandel des metropolitanen Status urbaner Zentren.

Wie lassen sich die Träger und Medien solcher selbstreferentiellen Diskurse in der Vormoderne erfassen? In der antiken und mittelalterlichen Historiographie ist eine Fülle von Selbst- und Fremdzuschreibungen der bedeutendsten urbanen Zentren zu finden. Als besonderes Genre sticht das Städtelob heraus, in dem Autoren die aktuelle Errungenschaften und historische Bedeutung ihrer Heimatstadt narrativ verarbeiten. Solche Texte sind zwar keineswegs auf Großstädte oder Metropolen beschränkt, übernehmen ihre Argumentationsmuster und Themen jedoch in aller Regel von den metropolitanen Vorbildern. In kirchenhistorischer Perspektive bieten in erster Linie spätantike Predigten, Briefe und Inschriften zahlreiche Beispiele für metropolitane Autoritätsansprüche, die unterschiedliche Argumentationsfiguren aufweisen (Gründung durch einen Apostel; Apostelgrab; Aufbewahrungsort bedeutender Reliquien; politische Bedeutung). Mit dem Einsetzen der Stadtchronistik im Spätmittelalter verbreitern sich hier die Textgrundlage und die narrativen Muster identitätsstiftender Selbstinszenierungen, die im Falle traditionsreicher Zentren wie Rom, Köln, Mailand oder Paris durchaus affirmative Statements zum metropolitanen Geltungsanspruch enthalten (vgl. etwa die Mirabilia Urbis Romae, um 1140, die Chronik des Kölner Ratsschreibers Gottfried Hagen, 1260, die Lobschrift „De magnalibus urbis Mediolani“ des Mailänder Patriziers Bonvesin de la Riva, 1288 oder den „Tractatus de laudibus parisius“ des Pariser Magisters Jean de Jandun, um 1320). Verstärkt setzt sich allerdings die Chronistik in kleineren und mittleren  Städten  auch  kritisch  mit  dem  Führungsanspruch  und  Machtgebaren  überregionaler Großzentren auseinander. Ebenso spiegeln archäologische und kunsthistorische Forschungen zur urbanistischen Struktur und Ausstattung öffentlicher wie privater Räume in der Stadt Diskurse über Geltungsansprüche, Identität, Konkurrenz und Vorbilder. Forschungen zu Mailand in der römischen Kaiserzeit legen dabei nahe, dass sich nicht nur durch die Imitation des römischen Beispiels, sondern auch in bewusster Abgrenzung und selbstbewusster Neudefinition urbanistischer, sakraltopographischer oder liturgischer Standards metropolitaner Geltungsanspruch äußern konnte. Umgekehrt erlaubt die Beobachtung urbanistisch-architektonischer Muster und Vorbilder der archäologischen Forschung valide Aussagen über Städtehierarchien und metropolitane Strukturen im hellenistischen Griechenland. Äußere und innere Urbanisierung gehören in dieser Forschungsperspektive eng zusammen, d.h. die Planung und Ausgestaltung der urbanistisch-architektonischen Struktur der Stadt sowie die Ausbildung eines zumeist von den Eliten getragenen, städtischen Selbstbewusstseins und von Diskursformen, in denen sich die Fülle der historischen Bedeutungen bündeln.

Am Beispiel Londons, der „ersten Metropole und Weltstadt der Neuzeit“, lässt sich in der Frühen Neuzeit ein ausdifferenzierter Literatur- und Theaterbetrieb analysieren, in dem städtische Identität bzw. stadtteilbezogene oder gruppenspezifische Identitäten genauso verhandelt werden wie kritische oder satirische Brechungen des von Eliten getragenen historischen Diskurses. Die Repräsentationsbestrebungen sowie die Leit- und Vorbildfunktion, welche Metropolität auszeichnen, generieren und äußern sich in einem permanenten diskursiven Austauschprozess von Innen- und Außensicht. Die Funktion der Metropole als „Referenzort“ für andere ist im Kontext der englischen Frühen Neuzeit nicht nur im nationalen und europäischen, sondern im globalen Rahmen zu betrachten: Hier aktualisiert sich die historische Semantik der Metropolität im Selbstbild einer nach außen expandieren - den Handelsnation und Kolonialmacht, sowie umgekehrt durch Außenansichten, die mit dem überseeischen Personen- und Warenverkehr in die Metropole hineingetragen werden. Die Selbstreferentialität frühneuzeitlicher Metropolen, die im 16. Jahrhundert europaweit einen explosionsartigen Anstieg der Einwohnerzahl verzeichnen (vgl. Knittler 2002: 216), beinhaltet somit auch eine permanente diskursive Selbstüberschreitung, indem sich hier zentralisierende und diversifizierende Kräfte in einem steten Wechselspiel befinden. Die Komplexität und der Veränderungsdruck metropolitaner Lebensumstände erzeugt eine Dichte an juristischen, wirtschaftlichen, politischen, religiösen und kulturellen Diskursen, deren multilaterale Interaktionen wiederum Gegensätze und Transformationspotentiale erkennbar machen und befördern. In Untersuchungen frühneuzeitlicher metropolitaner Diskurse anhand von Stadtchroniken, Gesetzestexten, antiquarischen, piktorialen und kartographischen sowie literarischen und theatralen und nicht zuletzt liturgischen und außerliturgischen rituellen Repräsentationen lässt sich diese Verflechtung von Betrachtungsweisen bei gleichzeitiger gegenseitiger Relativierung und Kommentierung zeigen.

Besondere Bedeutung kommt hierbei intermedialen, selbstreflexiven und metafiktionalen Momenten innerhalb dieser komplexen Diskursverflechtungen zu: Prozesse der Übersetzung und Rekodierung von Narrativen über die Metropole von einem Medium / einer Darstellungsform in das/die andere, d.h. Prozesse der ‚Remediation‘, produzieren stets auch Ambivalenzen und Ironien - wie wenn bspw. durch die frühneuzeitlichen Acting Companies, ihrerseits ein genuin städtisches Phänomen, sowohl Zentralisierung als auch Diversifizierung der Metropole inszeniert werden. Damit lässt sich Reifs Formulierung von der „Fülle der Bedeutungen“, die sich in metropolitanen Diskursformen zu „Vorstellungswelten“ bündelt, etwa für die Frühe Neuzeit um eine charakteristische Dynamisierung und Verzeitlichung solcher Vorstellungen erweitern: Hier paaren sich Ansprüche, Ambitionen und Mythologisierungen mit einem expliziten Bewusstsein der eigenen Historizität, der Prozesshaftigkeit des Metropolitanen. Eine überragende, nach Innen wie Außen zentrierende Integrationsfigur der zivilreligiös konstituierten italienischen Kommunen des Mittelalters war der hagiographisch und piktural nach aktuellen Bedürfnissen modellierbare Stadt- heilige, der städtisches Eigenbewusstsein und geschichtliche Kontinuität verkörperte - auch über reale Kontinuitätsbrüche und Katastrophen von Bistums- und Stadtgeschichte hinweg. Auch in anderen, aktualitätsbezogenen Anlässen wie etwa der kollektiven Memorie- rung von Schlachtengedenktagen war die überregionale Bild- und Kultpropagierung spezifischer Heiliger ein Kristallisationspunkt für die Formierung einer territorialen, gruppenübergreifenden, metropolitanen Identität mit herrschaftslegitimierendem und -stabilisierendem Aspekt. Das Regensburger Forschungsprogramm „Vormoderne Metropolität“ setzt einen ersten Schwerpunkt auf die Konstituierung metropolitaner Geltungsansprüche und da- mit auf die Struktur, Träger und Medien metropolitaner bzw. transmetropolitaner Diskurse. Hierzu bieten mehrere der beteiligten Disziplinen eigene Forschungen an, insbesondere die Klassische Archäologie, Kunstgeschichte, Geschichte, Liturgiewissenschaft und anglistische Literaturwissenschaft.


Metropolitane Räume

Zentralität, Grenzen, Verflechtungen.

Das Untersuchungsfeld „Metropolitane Räume“ wählt einen thematischen und methodischen Zugang, der in der kulturwissenschaftlichen und historischen Forschung in den vergangenen Deka- den sehr breit diskutiert worden ist. Im Kreis der Regensburger Antragsteller wurde auf zwei Tagungen gemeinsam mit internationalen Fachkolleginnen und -kollegen die Bedeutung der Raumanalyse für die Erforschung vormoderner Städte evaluiert. Für die Erforschung vormoderner Metropolität bietet die räumliche Perspektive einerseits vielfältige Themen, die zur Schärfung des Metropolenparadigmas beitragen: Insbesondere Zentralität und Dichte sind als räumliche Kategorien  dazu  geeignet,  metropolitane  Prozesse  aufzuspüren  und  darzustellen.  Andererseits steht die Raumanalyse als methodisches Instrument in allen beteiligten und benachbarten Disziplinen hoch im Kurs und eignet sich somit besonders zur Bearbeitung übergreifender Fragestellungen und transdisziplinären Forschung. Eine gemeinsame Leitfrage des beantragten Graduiertenkollegs stellt, wie oben skizziert, die Frage nach der essentiellen Bedeutung von Metropolen als funktionale und symbolische Steuerungsinstanzen im Urbanisierungsprozess dar. Räume, seien es die Strukturen innerhalb des metropolitanen Binnenraums, seien es die Verflechtungen mit dem Umland oder mit anderen Metropolen und Städten im überregionalen Raum (Städtenetz, transmetropolitane Verflechtungen), eröffnen einen privilegierten Zugang zu dieser Leitfrage.

In der Konkurrenz um nationale und internationale Geltung von Metropolen spielt die Ausgestaltung des Stadtraums als Repräsentationsmedium und plurifunktionale Einheit eine zentrale Rolle. Die urbanistische Planung und architektonisch-künstlerische Ausgestaltung von politisch-sozialen Machträumen und religiös-kultischen Zentren, von sozioprofessionellen Teileinheiten, Märkten, Befestigungen und Straßen besitzen sowohl pragmatische als auch symbolische Aussagekraft, wie zuletzt die Antragsteller auf einer internationalen Tagung zur vormodernen Stadtplanung gezeigt haben. Das äußere Erscheinungsbild des metropolitanen Zentrums strebt nach Unverwechselbarkeit, bemüht sich aber ebenso um überregionale bzw. ‚internationale‘ Lesbarkeit, um teilhaben zu können an transmetropolitanen Vergleichen und Konkurrenzen, in denen die Erscheinungsbilder der Städte als ganze  oder aber einzelne Elemente derselben herausgestellt und quantitativ wie qualitativ bewertet werden. „Stadt ist ein relationales Wirkungsgefüge ihrer Bewohner und der angeeigneten Topographie; die Architektur als Summe alles Gebauten ist ihr sichtbares Bezugssystem. Architektur formt und ordnet die Binnenstruktur sozialer Systeme und ist zugleich ihr Resultat“. Der metropolitane Raum ist dabei aufgrund seiner Größe, der dynamischen Migrationsbewegungen und der vielfältigen kulturellen Einflüsse nicht als homogene Einheit, sondern prinzipiell als konfliktärer Raum mit fragmentierten Projektionsflächen sozialer Geltungsansprüche und Wirklichkeiten zu definieren. Ein evidentes Bewertungsindiz für die Stufungen kultureller Ausstrahlung und ökonomischer Attraktivität urbaner Zentren, von Metropolen bis hin zu regionalen Kleinzentren, wird an den italienischen Künstlerinschriften des Mittelalters für den hochspezialisierten Produktionssektor des Bau-, Bildhauer- und Kunsthandwerks ablesbar: Im Rahmen der historischen Migrationsforschung erlauben die mit dem Künstlernamen verbundenen Ortstoponyme der Werkstattheimaten, die unterschiedlichen Radien horizontaler Handwerker-Mobilität, die regionalen und überregionalen Grenzen der Absatzmärkte und damit den Grad kulturell-künstlerischer  Dominanz  geradezu  geographisch  zu  kartieren; die  Akte gezielter  Einbürgerungen  von Kunsthandwerkern werfen Licht auf den engen Zusammenhang von Immigrations-, Bevölkerungs- und Steuerpolitik, von Gewerbeansiedlung, Wirtschaftsförderung und planmäßigen Stadterweiterungen der untereinander konkurrierenden Kommunen des mittelalterlichen Italien.

Der physische Stadtraum ist dabei mit anderen Raumkonfigurationen zu konfrontieren. Räumliche Strukturen sind als soziale Konstrukte zentrale Medien der symbolischen Kommunikation, etwa der Einlagerung von Erinnerung oder der Symbolisierung von Macht. Räumen lassen sich soziale, politische, rechtliche, religiöse oder wirtschaftliche Semantiken unterschiedlichster Qualität einschreiben. Da raumbezogene Ordnungen oftmals von hoher Permanenz, Anschaulichkeit und öffentlicher Sichtbarkeit sind, eignen sie sich in besonderem Maße zur normativen Konstruktion politischer, religiöser oder kultureller Codes. Im metropolitanen Raum überlagern sich dicht gedrängt verschiedene semiotische Systeme, deren räumliche Ausgestaltung, Anordnung und Veränderung Ausdruck von Machtverhältnissen, Gruppeninteressen und -identitäten und somit einer austarierenden Rationalität sind. Metropolitane Räume werden inszeniert, und nach den gemeinsamen Forschungsinteressen der Antragsteller bietet das Fragebündel nach den Medien, Themen und Trägern solcher Inszenierungen, nach ihrer öffentlichen Wahrnehmung, Wandelbarkeit und Umstrittenheit sowie nicht zuletzt nach ihrer Binnen- und Außenwirkung und ihrem Grad normativer Verbindlichkeit ein breites methodisches und thematisches Feld zur Untersuchung vormoderner Metropolität. Alle an der Antragsinitiative beteiligten Disziplinen analysieren aus ihrer fachlichen Perspektive die Rolle, die der Raum in der besonderen metropolitanen Vergesellschaftung spielt. Dabei geht es so - wohl um die ‚physischen‘ Räume der Stadt und deren rechtliche, soziale, wirtschaftliche und architektonische Ausgestaltung; aber auch um die Konstitution ‚symbolischer‘ Räume, beispielsweise im Ritual der Prozessionen oder in der ikonographischen Besetzung öffentlicher Räume, mit denen die ordnende Bewältigung des großstädtischen Lebens gelingt.

Bereits im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. bildet sich mit der Durchsetzung des Monepiskopates, also der Konzentration der sozio-religiösen Leitungsfunktionen in einer Person, eine spezielle Form stadtbezogener religiöser Herrschaft aus, die dann ab der Konstantinischen Zeit durch die Gesetzgebung  und  den  Niedergang  der  Stadtverwaltung  auch  politische Funktionen erhält (Bischöfe als Zivilrichter, Exekutoren kaiserlicher Gesetze, defensores civitatis und patres pauperum). Das Führungspersonal der Kirche bildete nun zugleich eine neue gesellschaftliche Elite, die sich mehr und mehr, besonders in Gallien und Oberitalien, auch aus den alten Eliten rekrutierte. Hier bietet sich ein breites Feld für komparative Forschungen zu den Geltungsansprüchen und zum praktischen Wirken einzelner Bischöfe an. Mit den Zentralisierungstendenzen auf lokaler Ebene ging auch die Bildung und Stärkung überregionaler Zentren der Kirchenorganisation einher: die Metropolen. Die Hierarchisierung unter den Bischofsstädten ist in vielerlei Hinsicht noch unzureichend erfasst. Studien zur Regelung von Konfliktfällen (z.B. Absetzung von Bischöfen), zu Institutionalisierungsprozessen (z.B. Einrichtung regelmäßig tagender Provinzsynoden) oder zu symbolischen Akten (z.B. Bischofsweihe oder Reliquientranslationen) könnten Kenntnis und Verständnis der praktischen, symbolischen und ideellen Faktoren erweitern, die in translokalen Ordnungsprozessen wirksam werden.

In der Vormoderne spielt dabei das Konstrukt des durch die Stadtmauer symbolisierten urbanen Rechtsraums eine ungleich größere Rolle als in der Moderne . Auch die bereits hervorgehobene, für die Konstitution vormoderner Metropolität bedeutsame Historizität der Metropole lässt sich fruchtbar mit raumanalytischen Überlegungen konfrontieren: Von der Höh spricht von der „Stadt als Erinnerungsraum“. Aleida Assmann definiert, basierend auf dem Konzept der „lieux de mémoire“, „Erinnerungsorte“ als überdauernde Kristallisationspunkte im physischen und symbolischen Raum, die eine „Aura des Vergangenen“ schaffen. Solche „Erinnerungsorte“ durchziehen den metropolitanen und transmetropolitanen Diskurs. Die Zerstörung Konstantinopels 1453 ist so ein Erinnerungsort, der weitreichende Folgen für die Formulierung europäischer Metropolität in der Frühen Neuzeit hatte. Die Bekanntheit und Ausstattung physischer Erinnerungsorte im metropolitanen Raum - etwa die Prominenz der Reliquien in der Kathedrale einer bedeutenden mittelalterlichen Metropole - sollten dabei dem metropolitanen Geltungsanspruch gerecht werden. Auf solche Prozesse richten sich gemeinsam die Forschungen in den beteiligten Fächern und Disziplinen.

Für die Einführung raumanalytischer Fragestellungen in das Forschungsprogramm „Vormoderne Metropolität“ ist die Zentralitätsforschung von erstrangiger Bedeutung. Neuere Ansätze in den Metropolitan Studies sehen in Metropolen „die Entscheidungs-, Steuerungs- und Kontrollzentralen der globalen Ökonomie und (zumeist gleichzeitig auch) der Politik“; Bronger spricht sich als wichtigstes Kriterium der Metropolendefinition für „funktionale Dominanz“ aus, worunter er   „Überzentralisierung und Überkonzentration der wichtigsten Funktionen in allen Lebensbereichen“ versteht. Für die Frühe Neuzeit postuliert Knittler einen „multifunktionalen Metropolenbegriff, in dem sich Elemente von Administration, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur verbinden“. Metropolen seien - mit Verweis auf die einflussreiche Studie von Christaller 1933 - die „hierarchisch höchstrangigen zentralen Orte“, die „aufgrund ihres Bedeutungs- und Funktionsüberschusses eine überregionale Raumfunktion ausüben“. Das neue „Handbuch kultureller Zentren der Frühen Neuzeit“ geht gezielt der „kulturellen Anziehungs- und Ausstrahlungskraft“ insbesondere von größeren Residenzstädten nach, die sich durch räumliche Beziehungsnetze zum Umland und zu anderen Städten und Residenzen konstituiert: „Ein ‚kulturelles Zentrum‘ ist als Ort zu verstehen, der durch eine Reihe von Faktoren zu einem Pol der Anzie - hungskraft auf dem kulturellen Feld wird und der zugleich eine spezifische gesteigerte Ausstrah - lungskraft besitzt, mit je unterschiedlicher Reichweite und je unterschiedlicher Macht, das kulturelle Feld zu strukturieren“.

Das hier vorgelegte Forschungsprogramm fragt erstmals und innovativ nach dem langfristigen Wandel jener Faktoren, die politische, wirtschaftliche, kulturelle und kultische Zentralität generieren. Dabei werden im Rahmen der Qualifizierung der zur Vormoderne arbeitenden Kollegiaten am geplanten Graduiertenkolleg bereits die Erkenntnisse und Methoden der frühhistorischen Protourbanisierung, deren Bedeutung durch E. Soja (2000) unterstrichen wurde, durch den assoziierten Vertreter der Vor- und Frühgeschichte (T. Saile) eingebracht: So laufen unter Beteiligung von T. Saile aktuell Ausgrabungen bei einer Gruppe von Großsiedlungen der Tripolje-Kultur (4. Jt. v. Chr.) in der westlichen Ukraine, die über 400 ha umfassen und aus knapp 2000 in konzentrischen Kreisen angeordneten Gebäuden bestehen. Befestigte Siedlungs- stellen mit Bedeutungsüberschuss gibt es auch in der Bronzezeit (2. Jt. v. Chr.). Auffällig sind teils dicht besiedelte Burganlagen unterschiedlicher Größe, die eine räumliche Trennung von Handwerk, Handel, Herrschaft („Akropolis“) und Kult aufweisen. Einen Höhepunkt erreichen die Zentralisierungsprozesse in der Eisenzeit. Insbesondere die „Fürstensitze“ der Hallstattzeit wurden häufig unter dem Gesichtspunkt früher, aus dem Süden angeregter Urbanisierungstendenzen diskutiert. Seit längerer Zeit bedienen sich auch althistorische und mediävistische Forschungen des Zentralitätsparadigmas. Zur Ermittlung von Städtehierarchien, die als Denkfigur für den oben skizzierten Diskurs um metropolitane Geltungsansprüche wichtig sind, da dieser sich aus der Abgrenzung der Metropole zu Nichtmetropolen speist, hat sich dabei der Blick auf „zentralörtliche Strukturen“ eingespielt. So analysiert R. Haensch 1997 die zentrale Rolle der Statthaltersitze im Imperium Romanum; im Trierer SFB 235 wurde das Konzept des „zentralörtlichen Gefüges“ theoretisch fundiert auf die historische Städtelandschaft zwischen Maas und Rhein appliziert.

In transdisziplinärer Perspektive, die im beantragten Graduiertenkolleg eingenommen wird, bein- haltet die Frage danach, durch welche Medien und Träger Zentralität konstruiert wird, innovatives Potenzial: Für die Antike wurde bereits die fundamentale Bedeutung religiöser Institutionen für die Konstitution urbaner Zentralität untersucht. In unserem Kontext erscheint diese Fragestellung ausgeweitet auf die kommunikativen Mechanismen, mit denen in der Vormoderne zentrale Steuerungsmechanismen generiert und propagiert werden. Dafür kommen neben der Analyse der politischen und wirtschaftlichen Institutionen (Kaiser-, Königs- oder Fürstenresidenz, Metropolitan- oder Bischofssitz, überregionale Märkte oder Börsen etc.), den „Entscheidungszentren“ im oben genannten Sinn, Untersuchungen in Betracht, die sich der medialen Repräsentation von Zentralität in bildenden Künsten, Sprache, Literatur, Theater, Architektur, Liturgie, Historiographie, Hagiographie etc. oder den kommunikativen Netzwerken widmen, die den Zentralitätsdiskurs in der Stadt und zwischen Städten steuern. Im Kontext der Regensburger Forschungen gibt es hierzu fruchtbare Ansätze etwa zur Stadtsprachenpraxis und ihrer Bedeutung für die sprachliche Entwicklung des Umlandes (M. Selig), zu spätantiken Bischofsversammlungen als Orten der Aushandlung städtischer Hierarchien (A. Merkt), zur Dynamik der Entwicklung, Ausbreitung und Veränderung städtischer Riten (H. Buchinger) oder zu ökonomischen Zentralfunktionen (M. Spoerer). Metropolen sind sowohl durch ihren Konsumbedarf als auch durch ihre Transfer- und Innovationspotenziale bereits in der Antike vorrangige Zentren des internationalen und interkontinentalen Fernhandels. In Spätmittelalter und Frühneuzeit korrespondieren mit dem metropolitanen Status die Reichweiten der kommerziellen, politischen und kulturellen Beziehungsnetze; so avancieren viele Metropolen zu Trägern einer ‚Protoglobalisierung‘, in der auch die vormoderne Raumwahrnehmung einem fundamentalen Wandel unterliegt.

Verflechtungen und Grenzen charakterisieren den hier entwickelten Begriff von Metropolität auf verschiedenen Ebenen: In der Genese und historischen Entwicklung von Metropolen ist die architektonisch-topographische Gestaltung (und Umgestaltung) des Stadtkerns von entscheidender Bedeutung (äußere Urbanisierung), da hier in aller Regel die wichtigsten funktionalen Elemente auf engem Raum versammelt sind: Herrschaftssitz, kultisch-religiöse Zentren, Märkte. Im Zuge der demographischen Expansion, die Metropolen zu eigen ist, erleben der Stadtkern eine Verdichtung des architektonisch-topographischen Ensembles und zugleich das städtische Umland eine stärkere Einbeziehung in die topographischen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen Strukturen der Metropole (Suburbanisierung). Außer dem direkten Nahraum, der in aller Regel von der Metropole auch in politisch-rechtlicher Hinsicht dominiert wird, üben Metropolen durch die hier gebündelten Zentralinstitutionen und Bedeutungen beherrschenden Einfluss auf Städte und Landschaften in einem großen überregionalen Raum aus. In dieser Perspektive wird Metropole geradezu als führende Stadt eines Landes definiert oder - nach Bronger - zumindest als regionales Zentrum, das die Bewohner des Hinterlandes mitDienstleistungen versorgt und „als Markt, als Informationszentrum und als Mittelpunkt politischer Organisation die Aktivitäten in ihrer Einflusssphäre beherrscht“; nicht selten verbreitet sich hauptstädtische Liturgie sogar über den Kulturraum (am Beispiel Roms) und im Fal le von Konstantinopel (als byzantinischer Ritus) über Sprachgrenzen hinweg. Die Forschungen von Morley 1996 (zu Rom und Italien), Aerts/Clark 1990 (zu europäischen Metropolen und ihrem Hinterland) und Beier/Finlay 1986 (zu London und England) zeigen, dass vormoderne Metropolen höchst differenzierte Formen der Verflechtung und Beherrschung mit bzw. in großen Räumen aus- gebildet haben. Darüber hinaus befinden sich Metropolen in Austausch und Konkurrenz mit ande- ren urbanen Zentren und Metropolen im internationalen und globalen Rahmen. Auf die Bedeutung dieser transmetropolitanen Verflechtungen in mentaler genauso wie in politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht wurde bereits hingewiesen.

Grenzziehungen  und Entgrenzungen der Metropole  werden durch die Forschungen von A.-J. Zwierlein zum frühneuzeitlichen London als diskursiv verhandelbare ‚mentale Kartierungen‘ des metropolitanen Raums fassbar. Diversität und Zentralität, äußere Grenzen und innere Verflechtungen vormoderner Metropolen, ihrer Gruppen und Institutionen realisieren sich nicht zuletzt im liturgischen Ritual. Vor allem die typische Stationsliturgie und verschiedenste Prozessionen prägen den „urban character of Christian worship“; die Erforschung städtischer Libri ordinarii und Prozessionalien steht freilich vielfach erst am Anfang. Forschungsdesiderate, denen sich mögliche Qualifikationsschriften widmen können, reichen dabei von der umfassenden Untersuchung liturgischer Festzeiten, die generell mit städtischen Prozessionen ausgestattet waren (etwa Quadragesima und Osteroktav) bis zu repräsentativen Fallstudien mittelalterlicher Metropolen, deren städtischer Raum durch unterschiedliche, nicht selten konkurrierende Institutionen bestimmt war (Bischof und Kathedrale, Domkapitel, monastische Klöster und verschiedene Stifte beiderlei Geschlechts, im Spätmittelalter zunehmend auch Bruderschaften etc.); die detaillierte Untersuchung einzelner Städte könnte durch komparative Perspektiven ergänzt werden.


Metropolen als theatrum mundi

Pluralität, Mobilität, Innovation, Konflikte.

Metropolitane Gesellschaften sind bereits in der Antike durch internationale Anziehungskraft und Ausstrahlung globale Gesellschaften, in denen diverse Religionen, Kulturen, Sprachen vereinigt sind. Im Jahr 2008 wurde in einer Ausstellung zum antiken Babylon, die nacheinander in den drei europäischen Metropolen London, Paris und Berlin gezeigt wurde, der Ursprung der Idee der globalisierten Stadt aufgezeigt. Der doppelte Impuls von Innovation und Disziplinierung, kultureller Pluralität und sozialen Konflikten ist ein Kennzeichen von Metropolität. Schwentker spricht vom „Janusgesicht der meisten Megastädte - als urbanes Zentrum wirtschaftlicher und sozialer Modernisierung auf der einen Seite und als chaotischer und grausamer Moloch, charakterisiert durch Armut, Kriminalität und Fragmentierung auf der anderen“. Für die Vormoderne gilt es, die besonderen Voraussetzungen und Formen von sozialer Mobilität, Innovationsprozessen, Sozialdisziplinierung und Konfliktbewältigung zu klären. Auf politisch-herrschaftlicher Ebene tut sich in diesem Bereich die Frage nach der Spezifität metropolitaner ‚Stadtherrschaft‘, nach Partizipationsansprüchen der metropolitanen Gesellschaft und nach den Legitimations- und Repräsentationsstrategien der sozialen Eliten auf. Zeichnet sich die Vormoderne in Europa generell durch autoritäre monokratische oder oligarchische Herrschaftsformen aus, sind Großstädte schon früh die ‚Werkstätten‘ für neue Formen der politischen Vergesellschaftung. Neuere Studien zu Paris zeigen etwa, dass selbst in der vom französischen Königtum vollständig vereinnahmten und beherrschten Hauptstadt, in der sich im Mittelalter keine kommunalen Entscheidungsgremien nach oberitalienischem Vorbild etablieren konnten, auf eine Partizipation der sozialen und wirtschaftlichen Eliten an der Stadtregierung nicht verzichtet werden konnte. Die subtilen Mechanismen dieser „nicht-legitimen Herrschaft“ durch die Vorsteher der Pariser Kaufleutegilde und ihre Schöffen, die sich in Spätmittelalter und Frühneuzeit im Spannungsfeld der herrschaftlichen Integration und Kontrolle einer immer stärker anwachsenden und pluralen Pariser Stadtbevölkerung einerseits und der öffentlichen Zurschaustellung von Bescheidenheit und Unterordnung unter die königliche Stadtherrschaft andererseits bewegen, wären ein lohnendes Beispiel für ein transdisziplinäres Projekt im Rahmen des beantragten Graduiertenkollegs, an dem Graduierte aus der mittelalterlichen Stadtgeschichte (Prosopographie der Prévôts des marchands), mittelalterlich- frühneuzeitlichen Rechtsgeschichte (jursidcitional complexity der Pariser Gerichtsinstanzen und deren Verhältnis zum König) und Kunst-/Architekturgeschichte (Repräsentationen der Prévôts des marchands im Pariser Stadtraum) zu beteiligen wären.

Die in vielen Metropolendefinitionen hervorgehobenen Innovationspotenziale metropolitaner Gesellschaften sind im beantragten Graduiertenkolleg systematisch mit den sozialen, medialen und technologischen Bedingungen der Vormoderne für Transkulturalität, Migration und soziale Mobilität zu verknüpfen. Die großen urbanen Zentren boten die besten medialen und institutionellen Voraussetzungen für die überlokale Normierung sozialer Praktiken. Hier sammelten sich verschiedene Träger und Institutionen des Wissens; hier trafen unterschiedliche soziale und sprachliche Kulturen aufeinander. Ein vergleichsweise höherer Grad an sozialer und räumlicher Mobilität förderte überdies in den Metropolen die Bereitschaft und Notwendigkeit zu Innovationen. Soziale, ökonomische und intellektuelle Mobilitäten sind in den großen urbanen Zentren der Vormoderne eng aufeinander bezogen. Gerade die frühen Formen ‚globalisierter‘ Wirtschaftsstrukturen, die in Spätmittelalter und Frühneu- zeit im interkontinentalen Fernhandel zu beobachten sind, fördern die Bedeutung der großen inter- nationalen Umschlagplätze. Im europäischen und mediterranen Raum sind dabei in vielen Fällen Kontinuitäten zu griechisch-römischen Hafenstädten gegeben (D. Steuernagel). Angestoßen durch demographische Bewegungen und teilweise durch politische Zentralisierungsprozesse, entwickeln Metropolen eine Eigendynamik der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Transaktionen: „Metropolitan cities became megawatt transmitters of new ideas, manners, fashions, leisure activities, patterns of consumption, and new forms of social interaction...“ (Aerts/Clark 1990).

Ansatzpunkte dafür bieten vielfältige Forschungen zu Kulturtransfers, zur historischen Migrationsforschung sowie der jüngst von den Antragstellern vorlegte Band „Die   bewegte Stadt. Mobilität und Innovation in vormodernen Großstädten“ (Oberste/Ehrich 2015). Das Interesse an Migration, Transkulturalität, sozialer Mobilität und Innovation verbindet alle an diesem Antrag beteiligten Disziplinen. In rechts- und wirtschaftsgeschichtlicher, ebenso in literatur-, kunst-, sprach- und kirchenhistorischer Perspektive ergeben die Möglichkeiten und Probleme von personalen und Wissenstransfers neue Anfragen an die vormoderne Urbanität und Metropolität: Soziale Mobilität unterlag in der Vormoderne scharfen rechtlichen und sozialen Regeln. Dennoch war sie für das soziale System unverzichtbar. Welche Rolle spielten die urbane Lebensform und das Vorbild der großen urbanen Zentren dabei, die Regeln sozialer Mobilität umzuformulieren? Welche Faktoren bestimmten die Möglichkeiten und Grenzen des sozialen Aufstiegs in den Städten? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Mobilität, Migration und städtischer Innovation? Darüber hinaus funktioniert die Stadt als integratives, aber auch differenzierendes System. Zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form werden soziale oder politische Kontrollmechanismen zur Steuerung von Innovationen wirksam? Über die demographische Angewiesenheit der Städte auf kontinuierlichen Zuzug hinaus, die Historiker und Soziologen immer wieder betonen, soll hier die essentielle Bedeutung kultureller Regeneration durch Migration und ihre institutionellen Regulierungen in den Blickpunkt rücken. In unserem Sinne ist also nach den kulturellen Bedingungen für erfolgreiche Informations- und Anpassungsprozesse in vormodernen Großstädten zu fragen.

In diese Fragerichtung lassen sich näherhin Untersuchungen zur Geschlechterkonstruktion oder zur Topographie großfamiliärer Verbände in der Vormoderne einbinden. Dynamische räumliche und soziale Mobilität zog notwendig die Auflösung traditioneller Familienstrukturen nach sich. Die Übernahme asketischer und zölibatärer Lebensformen durch Angehörige der städtischen Oberschichten, zumal im Falle von Frauen, wurde von spätantiken Autoren als Angriff auf das traditionelle Familienbild verstanden und von manchen Historikerinnen in die weibliche Emanzipationsgeschichte inskribiert. Für das mittelalterliche Paris haben Vergleiche mit der ländlichen Umgebung im Spätmittelalter gezeigt, dass die Haushalte in der französischen Metropole deutlich kleiner und deutlich weniger ortsstabil waren als in der bäuerlichen Gesellschaft. Insbesondere die Gender Studies haben zudem auf die Bedeutung der vormodernen urbanen Gesellschaft für die Erweiterung des Handlungsspielraums von Frauen in sozialer, ökonomischer, rechtlicher oder politischer Hinsicht aufmerksam gemacht. Christines de Pizan „Livre de la Cité des dames“ (um 1405) spielt dabei mit den kulturellen und sozialen Innovationspotenzialen des Städtischen, aber auch mit ihren gesteigerten Abwehrmechanismen gegen Partizipationsansprüche marginalisierter Gruppen. Dabei ist das gesamte Werk Christines von den sozialen Erfahrungen, mentalen Strukturen und kulturellen Reichtümern der beiden Metropolen Venedig und Paris geprägt. In dieser Perspektive scheint es kein Zufall zu sein, dass die einzigen belegbaren Frauenzünfte im größten und ökonomisch bedeutsamsten Zentrum im deutschsprachigen Raum, in Köln, entstanden sind.

Ähnliche Beobachtungen lassen sich in rechtshistorischer Perspektive als Normwandel beschreiben und untersuchen. Normwandel und rechtliche Innovation in vormodernen Metropolen kann als Desiderat der Forschung betrachtet werden. Im Rahmen des hier beschriebenen Forschungsprogramms könnte in etwa der Vorgang der Rezeption gelehrten Rechts behandelt werden, wobei nicht die sattsam bekannten inhaltlichen Aspekte im Vordergrund stehen, sondern die Rezeption als kultureller Prozess, welcher zuerst in bestimmten führenden Städten abläuft, die hierdurch ihre Sonderstellung als Metropole unterstreichen. Aufgrund welcher Erwägungen, auf welchen Wegen, über welche einzelnen Personen und über welche Arten von Vorgängen haben diese Metropolen das gelehrte Recht rezipiert und zur Grundlage ihres neuzeitlichen Stadtrechts gemacht? Auf welchen Feldern haben sie sich einer Rezeption widersetzt? Das gelehrte Recht ist dabei die Voraussetzung für das Entstehen einer hochstehenden Stadtrechtskultur, die über das rezipierte Recht hinauswachsen kann, was sich insbesondere im Bereich des neuzeitlichen Handelsrechts und der neuzeitlichen Handelsgerichtsbarkeit beobachten lässt. Das Bestehen eines hoch entwickelten Handelsrechts und einer professionalisierten Handelsgerichtsbarkeit ist dabei für die effektive Abwicklung von Streitigkeiten ebenso wichtig wie als Bestandteil der Repräsentation als Metropole (vgl. das DFG-Projekt „Die Nürnberger Handelsgerichtsbarkeit. Handelsgerichtliche Gutachten in der Frühen Neuzeit", Universität Würzburg).

Gerade im ökonomischen Sektor zeigt sich der Zusammenhang von Mobilitäts- und Innovationsprozessen in vormodernen Metropolen sehr eklatant. Hier bündelte sich neben politischer auch wirtschaftliche Macht, angestoßen nicht zuletzt durch den Finanzbedarf der Metropole selbst. Metropolitaner Geltungsanspruch verschlang enorme Ressourcen, seien es militärische Aktivitäten von Stadtstaaten bzw. Reichsstädten, seien es die hohen Kosten städtischer Infrastruktur und Repräsentation. Zu fragen ist hier nach der Finanzierung durch Steuern oder Kredit, etwa von Kaufmanns- oder frühen Bankhäusern. Welche Institutionen bzw. Personenkreise bestimmten den Bedarf der Stadt und ihre Deckung? Wer deckte ihn, und zu welchen Kosten? Durch ihre zentrale Funktion für das Um- und Hinterland akkumulierte sich außerdem in Metropolen Nachfrage nach Luxus-, zunehmend aber auch Massenkonsumgütern aus Übersee (Gewürze, Kaffee, Tee, Zucker, Schokolade, Tabak, Baumwolltextilien etc.). Diesen Aspekt hat Morley („Metropolis and Hinterland“, 2002) für die Stadt Rom der späten Republik und der frühen Kaiserzeit untersucht und die tief greifende Anpassung der italischen Ökonomie an die Bedürfnisse und kommerziellen Strukturen der Metropole beschrieben. Sowohl innerhalb der Metropole als auch im Verkehr mit den diese Produkte exportierenden Regionen boten sich ganz neue Erwerbschancen auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Sowohl die vertikale als auch die horizontale Mobilität war daher in Metropolen weitaus höher als in kleineren urbanen Zentren oder gar auf dem Land. Zu fragen wäre hier z.B. nach neuen Berufen, und welche Gruppen sie warum ergriffen. Die starke Bündelung von Angebot und Nachfrage in Metropolen führte daher auch zu erhöhter Innovationstätigkeit. Im Finanzsektor etwa schufen Plätze wie Amsterdam oder London neue Institutionen oder Instrumente (moderne Börsen, Aktien), mit denen sie die spätmittelalterlichen oberitalienischen Vorbilder hinter sich ließen. Wer trieb mit welchen Motiven die Ausdifferenzierung dieser Finanzinnovationen voran, und welche Widerstände waren zu überwinden? Auf welchen Wegen (und gegen welche Widerstände) diffundierten diese Innovationen in andere europäische Handelszentren?

Metropolen zeichnen sich nicht zuletzt durch die Akkumulation von Machtstrukturen, durch erhebliche Konfliktpotenziale und innovative Konfliktlösungsstrategien aus. Ob als antikes Provinzzentrum, mittelalterlicher Königssitz oder frühneuzeitliche Residenz eines Fürstenhofes – die Zentralisierung politischer, administrativer und rechtlicher Strukturen in einzelnen Städten bildet in der Vormoderne in aller Regel einen entscheidenden Standortvorteil im Prozess der Urbanisierung, der zur Hierarchisierung innerhalb des regionalen, nationalen oder ‚internationalen‘ Städtenetzes beiträgt. In metropolitanen Zentren der Antike und dann verstärkt des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit belebt das explosive demographische Anwachsen, verbunden mit der politischen Instrumentalisierung der breiten städtischen Bevölkerung (etwa der stadtrömischen plebs) und den konkurrierenden Partizipationsansprüchen ihrer Eliten, die Suche nach Praktiken zur Bewahrung der öffentlichen Ordnung und zur Vermeidung von Konflikten. Die Fragmentierung der metropolitanen Großbevölkerung in der rechtlichen und politischen Praxis in Stadtteile, Gerichtsbezirke, kirchliche Sprengel, Nachbarschaften u.a. setzt dabei auf der anderen Seite symbolische und pragmatische Formen zentraler Herrschaft (z.B. die königliche Appellationsgerichtsbarkeit im spätmittelalterlichen Pariser Rechtsraum) und einheitsstiftender Ereignisse (z.B. Volksversammlungen) frei, die dem Selbstbild der Metropole als Ganzes entsprechen. Innovationen und Diversität, wie sie oben als Kennzeichen des metropolitanen Rechts beschrieben werden, setzen auch ein erhöhtes Konfliktpotenzial frei: Metropolen sind stets Orte, an denen verschiedene Rechte und Gerichtsbarkeiten miteinander um Zuständigkeiten konkurrieren, vor allem geistliches und weltliches Recht und die jeweils zugehörigen Gerichte, aber auch verschiedene Schichten weltlichen Rechts und verschiedene weltliche Gerichte. Diese Zustände einer Jurisdictional Complexity oder Hybridity sind allzu lang nicht in den Blick einer modernen (Rechts-)geschichtswissenschaft geraten, die selbstredend das Vorliegen von nach rationalen Gesichtspunkten ausgearbeiteten Regelungen voraussetzt, welche derartige konkurrierende Rechtszuständigkeiten nicht kennen. Wie wurde diese Konkurrenz in Metropolen gelebt? Konnte es Metropolen gelingen, diese Jurisdictional Complexity durch eine Zentralisierung von  Recht  und  Rechtsprechung zu beseitigen und gegebenenfalls wie?


Metropolitane Kommunikation

Dichte und Diversität.

Zu den zentralen Beobachtungsfeldern vormoderner Metropolität zählen die kommunikative und institutionelle Verdichtung der metropolitanen Gesellschaft sowie daraus resultierende Dynamiken des politischen, wirtschaftlichen, rechtlichen, kulturellen Handelns. Zuerst in den großen Metropolen machten neuartige Bedürfnisse der sozialen Regulierung die Überholung des älteren Modus der „Anwesenheitskommunikation“ (R. Schlögl) notwendig. Gleichzeitig ist die vormoderne Metropole der soziale Raum, in dem neue Formen der öffentlichen Kommunikation im face-to-face-Bereich entstehen (Predigt, Theater, neue Formen der politischen Teilhabe etc.) und die schriftgestützte Formierung von literarisch und/oder religiös orientierten ‚Diskursgemeinschaften‘ neue und mit dem Aufkommen des Buchdrucks ungeahnte Ausmaße nehmen wird. Kennzeichnend für die Kommunikation in den vormodernen Metropolen ist also gerade die Spannung zwischen einerseits ihrer sozialen, kulturellen, religiösen und sprachlichen Heterogenität und den darin begründeten Pluralisierungsmöglichkeiten, andererseits den Potentialen von Zentralisierung und Rationalisierung, die die erhöhte ‚Dichte‘ politischer, religiöser und wirtschaftlicher Funktionseliten in den Metropolen eröffnet.

In Stadtsoziologie und Metropolitan Studies ist Dichte / Verdichtung eine viel diskutierte Kategorie. Während noch E. Durkheim davon sprach „materielle Dichte“ sei „beobachtbare Urbanisierung“, weitet M. Löw den Dichtebegriff der Stadtsoziologie auf symbolische und materielle Formen und Praktiken aus: „Dichte ist das Organisationsprinzip, nach dem sich symbolisch und materiell die städtische Welt spezifisch anordnet“ (Löw 2011). Für vormoderne Metropolität erweisen  sich  gerade  symbolische  Praktiken  der  Kommunikation  als  weiterführendes  Untersuchungsfeld. Die alle Lebensbereiche erfassende ‚dichte‘ Vernetzung in Metropolen bringt spezifische Formen der Kommunikation, spezifische Formen der Vergesellschaftung und spezifische Formen der identitären Bearbeitung hervor, deren Gesamtheit metropolitane Kultur definiert. Im kom- munikativen Verdichtungsraum der Metropole zielt diese Perspektive besonders auf jene Kommunikationsprozesse ab, die an der Konstruktion „symbolischer Ordnungen“ und damit wesentlich an der Herstellung institutioneller Stabilität beteiligt sind.

Gerade die Dynamik der demographischen und sozialen Prozesse in Metropolen führt zu  Kommunikationsformen, die die Differenz zwischen ‚Eigenem‘ und ‚Fremdem‘ und die damit verbundenen Inklusions- und Exklusionsprozesse thematisieren. Dies ist beispielhaft an der Nekropolitik spätantiker Metropolen deutlich zu machen, der sich aus dem Kreis der Antragsteller A. Merkt zuwendet : In der Spätantike erhalten einerseits die suburbanen Friedhöfe eine neue Funktion als öffentliche Räume, „exzentrische“ Orte und „Heterotope“ (Foucault), an denen sich religiöse und politische Geltungsansprüche durch Baumaßnahmen (Basiliken, Pilgerherbergen usw.), Rituale (Prozessionen, Pilgerumgänge u.Ä.) und eine neue Form der Massenkommunikation (Predigten und Lesungen vor Hunderten, mancherorts Tausenden von Zuhörern) manifestieren. Andererseits werden zunehmend Reliquien mobilisiert, um den religiösen und politischen Status von Städten zu unter - streichen und ihr Verhältnis zueinander zu definieren. Zu dieser Thematik bietet sich eine Vielzahl von Einzelstudien an, die sich mit bestimmten Quellengenera (zum Beispiel Grabinschriften, die eine Zuordnung zu politischen und religiösen poleis formulieren; Predigten an Märtyrerfesten; Briefwechsel über Reliquienaustausch), transmetropolitanen Diskursen (z.B. Korrespondenz zwischen Rom und Konstantinopel über Apostelreliquien als Statussymbole) oder religionspolitischen  Symbolhandlungen  (z.B. antijüdische  Instrumentalisierung  der  Stephanusreliquien; Renvirements von Nekropolen zur Abgrenzung von Andersgläubigen) befassen. Insbesondere wäre auch durch Fallstudien die These Ramsay MacMullans (2009) zur von ihm sogenannten „se- cond church“ zu prüfen; demnach hätten sich die Massen der Christen regelmäßig auf den suburbanen Friedhöfen versammelt und seien dort bis etwa 400 weitgehend der Kontrolle des Klerus und der städtischen Oberschichten entzogen gewesen; dieser „zentrifugalen Kraft“ (Peter Brown) der Totenfrömmigkeit hätten dann die Bischöfe durch unterschiedliche Maßnahmen entgegenzuwirken versucht. Querverbindungen zu anderen Untersuchungsfeldern können sich im Blick auf die Rolle der Bischöfe (Zentralisierung von Herrschaft), die Entstehung metropolitaner Liturgien sowie die Erfassung eines suburbanen Raumes mit besonderer kultureller, sozialer, architektonischer und ökonomischer Dynamik ergeben.

Erhöhte Heterogenität und die daran geknüpfte Erfahrung von Alterität ist auch hinsichtlich der in den Metropolen vertretenen Sprachgemeinschaften zu beobachten. Für die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Handelsmetropolen ist die Präsenz alloglotter Bevölkerungsgruppen konstitutiv. Eine Handelsstadt wie Köln oder Venedig ist ohne die - vorübergehende oder auf Dauer gestellte - Anwesenheit auswärtiger bzw. ausländischer Kaufleute nicht denkbar. Auch Universitätsstädte wie Bologna oder Paris sind mehrsprachige Räume par excellence. Zunächst mag dies durch die mittelalterliche und frühneuzeitliche Dominanz des Lateins innerhalb religiöser und juristischer Eliten verdeckt sein. Die Untersuchungen von Serge Lusignan zum mittelalterlichen Paris zeigen aber, in welch starkem Maße die volkssprachliche Mehrsprachigkeit, die ‚hinter‘ der gemeinsamen lateinischen Distanzsprache steht, für die Stadt, aber auch für die universitäre Korporation prägend war. Weitere Faktoren der sprachlichen Heterogenität der vormodernen Metropolen sind religiöse Minderheiten wie die jüdischen Gemeinden, spezialisierte Handwerker, die nur saisonal in den Großstädten präsent sind, die Tatsache, dass sich die großstädtische Bevölkerung nur durch den ständigen Zuzug aus dem umliegenden Hinterland regenerieren konnte, und, wie im Falle von Rom oder Konstantinopel, der Bevölkerungsaustausch zwischen den Metropolen. Dieses Phänomen der (Im)Migration großer Teile der großstädtischen Bevölkerung hat in den letzten Jahren in der historischen Linguistik endlich Beachtung gefunden. Neuere Forschungen zur Geschichte der Sprache von Paris, von Rom oder von Venedig zeigen, dass die traditionellen Denkmuster der historischen Linguistik, d.h. das Muster der (stadt)dialektalen Kontinuität von vorne herein zum Scheitern verurteilt ist. Auch die vormodernen Großstädte sind Inseln im Meer vergleichbar; sie sind soziale Räume, die untereinander in einem wesentlich engeren Kontakt stehen als mit der unmittelbar anschließenden territorialen Umgebung, und sie weisen intern eine ganz eigene soziale Dynamik auf, die ihnen einen besonderen Stellenwert in der Sprachgeschichte zuweist. Mit den Stichwörtern Koineisierung, Sprachmischung oder Sprachausgleich kann zumindest angedeutet werden, in welche Richtung diese mit der Abwendung von den gewohnten (Sprach-)Raumvorstellungen verknüpfte Neuorientierung geht: Sprachkontakt und Akkomodations- und Ausgleichsprozesse werden als wesentliche Bedingungen der sprachlichen Entwicklung in den großstädtischen melting pots sichtbar, ebenso die interne Abstufung der städtischen Räume hinsichtlich ihrer Vorbildfunktion und ihrer Ausstrahlungskraft. Es zeichnet sich ab, dass gerade in der Sprachgeschichtsforschung die moderne Metropolenforschung und ihre Differenzierung und Präzisierungen hinsichtlich sozialer Raumkategorien fruchtbar gemacht werden kann.

Die Dichte und Diversität von kommunikativen Räumen, die durch die unterschiedlichen Kommunikationsteilnehmer, sozialen Gruppen und Institutionen mit ihren je eigenen Interessen, Identitätskonstruktionen und Repräsentationsbedürfnissen konstituiert werden, gehört zu den unverwechselbaren Kennzeichen der metropolitanen Gesellschaft. Diese Vielfalt generiert eine ‚Offenheit‘ und Dynamik des sozialen Handelns: Variabilität und Innovativität werden durch die Präsenz von alternativen Deutungs- und Handlungsformen erhöht, im Gegenzug werden aber auch Strategien der Integration, Selektion und Exklusion in verstärktem Maße notwendig. Kennzeichnend für die Metro- pole ist insbesondere die Überlagerung unterschiedlichster symbolischer Ordnungen. Dies wird etwa in Regensburger Untersuchungen zur künstlerischen Repräsentation des Stadtpatrons im städtischen Raum der Metropole Mailand und anderen italienischen Städten näher ausgeführt. Der metropolitane Kommunikationsraum ist somit durch die Dichte und Diversität sozialer Figurationen gekennzeichnet, deren reflexive Aneignung, Abgrenzung und Stabilisierung eine der metropolitanen Kommunikationsgemeinschaft eigene Rationalität und Dynamik von Repräsentationen und normativen Setzungen erzeugt. Diese erhöhte kommunikative und kulturelle Dynamik führt einerseits zu einer schärferen definitorischen Abgrenzung der vormodernen Metropole von anderen Herrschafts- und Sozialformen sowie andererseits zu einer verstärkten Ausstrahlung auf letztere. Angesichts der insbesondere zwischen Spätantike und Hochmittelalter nur schwach ausgebildeten institutionellen Strukturen der Territorial- und Grundherrschaft im lateinischen Europa, deren kommunikatives Potenzial vor allem in gewohnheitsrechtlichen Fixierungen auf lokaler und regionaler Ebene ausgebildet ist, kommt den urbanen Zentren auch für die Ausübung territorialer Herrschaft und ihrer ökonomischen, administrativen und kulturell-repräsentativen Anforderungen eine zunehmende Bedeutung zu.

In der Beschreibung von Metropolen wird somit eine Interdependenz sichtbar zwischen Bevölkerungsgröße und Akkumulationsprozessen einerseits und den topographischen, institutionellen und kommunikativen Verdichtungen andererseits, in welchen die lokale Spezifik des einzelnen Gemeinwesens symbolisch kondensiert und einem deutenden Zugriff vermittelt werden. In diesem Sinne bringt die beteiligte Wissenschaftlerin A.-J. Zwierlein den Forschungsschwerpunkt zu ökonomischen Diskursen im frühneuzeitlichen London ein. Mit der Bearbeitung der ‚dichten‘ kommunikativen Praxis in vormodernen Metropolen befassen sich weitere Vorstudien aus dem Kreis der Regensburger Antragsteller: Hierzu gehören etwa die „jurisdictional Complexity“ und Konkurrenzen im Gerichtswesen vormoderner Metropolen (M. Löhnig). Rechtliche Komplexität und ihre diskursive Bewältigung stehen auch im Mittelpunkt eines weiteren Forschungsschwerpunktes, der die Vielzahl und Bedeutung klösterlicher Institutionen im Prozess der Urbanisierung des mittelalterlichen Paris thematisiert (J. Oberste). Grundlegend ist hierfür die Beobachtung, dass der Pariser Stadtraum bis zum Ende des Ancien Régime unter verschiedenen geistlichen und weltlichen Grundherren aufgeteilt war und die königliche Stadtherrschaft in vielen Bereichen nur nominell ein einigendes Band herstellen konnte. Innerhalb dieser Komplexität entstanden bereits im Hochmittelalter sowohl die wesentlichen Strukturen der Urbanisierung als auch langfristige Konflikte um die Zugehörigkeit von Räumen und ihren Bewohnern zu den verschiedenen Gerichtsbarkeiten. Querverbindungen lassen sich aus diesem Forschungsbereich auch zu den Schwerpunkten Metropolitane Räume und Metropolen als theatrum mundi ziehen: Insbesondere die Rolle der großen Pariser Stadtklöster (St. Martin-des-Champs, Ste. Geneviève, St. Germain-des-Prés u.a.), die bis zum Ende des Ancien Régime in den expandierenden Stadtvierteln um ihre Klöster herum veritable ‚Stadtteilherrschaften‘ mit hoher Gerichtsbarkeit, Steuerhoheit und Bauplanung behaupteten, ist bislang noch wenig untersucht. Künftige Dissertationsprojekte können sich z.B. mit der umfangreichen, großenteils unedierten Pariser Überlieferung auseinandersetzen, um zu klären, welche Aushandlungsprozesse zwischen geistlichen Grundbesitzern und Königtum stattfanden. Ferner wäre die soziokulturelle Struktur ‚geistlicher‘ Stadtviertel im Vergleich zu weltlich dominierten Zonen der Stadt, die insbesondere auf der Ile-de-la-Cité und bei den Hallen lagen, zu vergleichen. Großes Potenzial besitzt zudem der Transfer des Pariser Falls auf andere große französische und europäische urbane Zentren. Wie tarieren sich adlige Stadtherrschaft, bürgerliche Partizipationsansprüche und klösterliche Autonomie in expandierenden Wirtschaftszentren wie etwa Poitiers, Toulouse, Amiens, Mailand, Florenz, Köln, Regensburg, Straßburg u.a. aus? Machen sich hier Unterschiede zwischen (der regulierten) Stiftsgeistlichkeit und den exemten Mönchsorden bemerkbar (vgl. Noizet 2003 zu Tours)? Welche Rolle spielt das Königtum - oder im Spätmittelalter zunehmend - der Territorialherr in der Steuerung von Metropolisierungsprozessen?

Die Komplexität, die sich für die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Metropolen aus dem Nebeneinander unterschiedlicher Funktionseliten und der von ihnen gestützten Diskurstraditionen ergibt, ist auch für sprachwissenschaftliche Themenstellungen relevant. Die Metropole ist der soziale Raum par excellence, in dem ökonomische, rechtliche, religiöse und literarische Diskurse unmittelbar aufeinandertreffen und im Kontakt miteinander neue Formen von kommunikativer Interaktion, neue Vertextungsstrategien und neue sprachliche Verfahren entwickeln. Im westeuropäischen Mittelalter findet diese Entwicklung zunächst nur in der lateinischen bzw. arabischen Distanzsprachlichkeit statt. Erst ab der Mitte des 13. Jahrhunderts sind auch die Volkssprachen in diese Entwicklung eingebunden, interessanterweise mit sehr deutlichen regionalen Unterschieden. In den italienischen Städten beispielsweise ‚verhindert‘ die Kontinuität notarieller Institutionen seit der Spätantike geradezu den Ausbau der volgari. Eine ähnliche Entwicklung deutet sich in den mozzarabischen Metropolen, beispielsweise in Toledo, an, wenn eine intensive und bereits fest etablierte Urkundenpraxis in arabischer Sprache noch lange nach der Reconquista weitergeführt wird. In Italien ist auch klar erkennbar, dass erst der Dominanzwechsel zu neuen sozialen Schichten, hier die aufstrebende Kaufmannsschicht, den Weg für eine volkssprachliche, nicht mehr lateinische/arabische distanzsprachliche Schriftpraxis frei macht. Auch im nordfranzösischen und flandrischen Raum spielt die Stadt als sozialer Raum neuer ökonomischer Strukturen eine entscheidende Rolle. Die „révolution de l’écrit“, der rasant zunehmende Gebrauch der Volkssprache in Urkunden, wird dadurch in Gang gesetzt, dass die städtischen Kaufleute zunehmend Landbesitz erwerben und für diese Transaktionen eine neue Urkundenschriftlichkeit entwickeln. Vollends entscheidend wird die kommunikative Dichte der Stadt dann, wenn in einem weiteren Schritte des di stanzsprachlichen Ausbaus der Volkssprachen die unterschiedlichen Schriftdomänen geeint werden. Wiederum ist die Kaufmannsschicht entscheidend, weil sich hier Produzenten- und Rezipientengruppen entwickeln, deren volkssprachliche schriftkulturelle Kompetenz sich gleichermaßen auf Geschäftsbücher (als Produzent), Stadtbücher (als Produzent und Rezipient), Urkunden (als Rezipient) und literarische oder religiöse Texte (als Rezipient) bezieht. Die unterschiedlichen Ausformungen einer solchen domänenübergreifenden Kompetenz, der produktive Umgang mit der unterschiedlichen Verteilung von Lese- und Schreibkompetenzen und die Ausbildung kollektiver Rezeptionsstrukturen (Vorlesen, Buchverleih etc.), der produktive Umgang mit Mehrsprachigkeit und die intensive Zirkulation von Codices zwischen den Metropolen, schließlich die Praktiken einer mass literacy auf der Basis des neuen Mediums der Flugblätter, sind inzwischen bekannt, sind aber bei weitem noch nicht ausreichend empirisch erforscht, um die Dynamik dieser urban literacy in der Vormoderne auch nur einigermaßen abschätzen zu können.


Global Cities in der Vormoderne

Im Kontext gegenwärtiger Neuausrichtungen des Diskurses über ‚Globalisierung‘ sind die hier entwickelten Perspektiven auf global cities in der Vormoderne richtungsweisend. Von Zygmunt Baumans Beobachtungen zur Opposition zwischen „globe“ und „place“ im Glokalisierungsmodell (Baumann 1998) bis zur Berücksichtigung von Möglichkeiten ebenso wie Grenzen transregionaler Mobilität in neujustierten Globalisierungsmodellen (siehe Graw/Schielke 2012: 19) ist in den gegenwärtigen Diskussionen der kulturwissenschaftlichen Area Studies die wechselseitige Rückbindung des Globalen an lokale, dezentrale Standorte wichtig. In historischer Perspektive gehören hierzu auch Beobachtungen zu Abgrenzungstendenzen in Kulturkontaktzonen, die als historisch dokumentierte und rekonstruierbare Phänomene neben Prozessen des Kulturtransfers stehen. Hier ergeben sich – ähnlich wie im Abgleich der im GRK untersuchten vormodernen Metropolität mit den gegenwartsbezogenen Metropolitan Studies, der Urbanistik und modernen Stadtsoziologie – Möglichkeiten eines fruchtbaren Austausches zwischen den in einer Reihe von Einzelprojekten beobachteten dezentralen Metropolitätsphänomenen in der Vormoderne und neueren Theorieansätzen in diesem Bereich (so zeigt sich der Geltungsanspruch auf ‚Metropolität‘ als strukturelles, die Stadtgesellschaft prägendes Muster beispielswiese auch in kleineren, dezentralen Städten in Antike und Früher Neuzeit [so etwa in Projekt Nr. 1, 2, 5, 12]).

Metropolitane Gesellschaften sind bereits in der Antike durch internationale Anziehungskraft und Ausstrahlung globale Gesellschaften, in denen diverse Religionen, Kulturen und Sprachen sowie sozio-professionelle und ethnische Gruppen vereinigt sind. Im Jahr 2008 wurde im Pergamonmuseum an Geschichte und Mythos des antiken Babylon der Ursprung der Idee der globalisierten Stadt aufgezeigt (Wullen 2008). In den altertumswissenschaftlichen und mediävistischen Disziplinen wird der Trend zur Beobachtung früher Globalisierungstendenzen kontrovers diskutiert (vgl. Fried 2014). Mittlerweile gibt es kaum eine Epoche oder Hochkultur, die nicht unter der Globalisierungsperspektive ausgeleuchtet und neu bewertet worden wäre. Globalisierungen im Plural (Osterhammel 2011) hat man für das Reich der Sumerer konstatiert, die ihre Handelsnetze bis an den Indus ausgeweitet hatten, für die hellenistische und später die römische Erschließung der Mittelmeerwelt sowie des Nahen und Mittleren Ostens (Truschnegg 2013, Pitts/Versluys 2015 und kritisch Leppin 2017). So ist das antike Alexandria seit dem 3. Jh. v. Chr. ein Zentrum für die Bewahrung und Förderung aller Arten von Wissenschaft und deren Ergebnissen, die aus der gesamten Mittelmeerwelt zusammengetragen wurden, was insbesondere durch die Bündelung einer Vielzahl von Handelswegen in den See- und Binnenhäfen der Stadt möglich war. Diese erstrecken sich jedoch nicht nur ins Mittelmeer, sondern über den Nil und das Rote Meer nach Indien und China (vgl. das neue GRK-Projekt Nr. 9). Insbesondere die ‚eurasische Spätantike‘ wird neuerdings unter der Globalisierungsperspektive betrachtet (so Di Cosmo 2018; Preiser-Kappeler 2018; zu den damit verbundenen Debatten: Humphries 2017). Die amerikanische Historikerin V. Hansen hat sogar die erste Jahrtausendwende zur Geburtsstunde der Globalisierung deklariert, ein Zeitalter, das zumindest aus europäischer Perspektive bislang nicht unbedingt für seinen expansiven oder innovativen Drang auffällig geworden ist (Hansen 2020).  


Gerade wenn man die Übertragbarkeit des modernen Globalisierungsschemas auf Antike und Mittelalter kritisch sieht, da suprastaatliche Institutionen oder Technologien fehlten, gerät die diesbezügliche Relevanz vormoderner Metropolen in das Blickfeld: Wir gehen von der Annahme aus, dass auch antike und mittelalterliche Metropolen ihrer jeweiligen Zeit und Kultur entscheidende kulturelle, technologische, ökonomische Impulse vermittelt haben, ja dass sich in der vorindustriellen Zeit die Voraussetzungen für globales Denken und Handeln nur in den multinationalen und multikulturellen Gesellschaften großer Metropolen überhaupt schaffen ließen. Die günstigen Voraussetzungen von Hafenstädten für die Etablierung zentralörtlicher Strukturen und internationaler Netzwerke werden in Regensburg in zwei archäologischen Projekten zu Ephesos und Aquileia (Projekte Nr. 3, 7) näher analysiert. Gemeinsam mit den althistorischen Projekten zu Rom, Mailand und Alexandria konturieren diese Projekte die Relevanz von Metropolen für die Dynamik internationaler und globaler Vernetzungen und Wissenstransfers (vgl. die internationale Tagung des Kollegs im November 2018, publiziert in Oberste/Ehrich 2019). Über das Konzept der ‚Global City‘ in der Vormoderne, ihre statusgenerierenden Voraussetzungen und statuserhaltenden Strategien der Kommunikation, Urbanisierung und politisch-sozialen Normierung soll in der zweiten Förderperiode eine wichtige Dimension vormoderner Metropolität weiter erforscht werden.

Die Untersuchung vormoderner Metropolität kann auch dazu beitragen, Prozesse und Phänomene in kleineren urbanen Zentren zu verstehen, wenn diese versuchen, ihren Platz innerhalb von metropolitanen Netzwerken zu finden oder sich das regionale und transregionale Städtenetz in ständiger Konkurrenz um Bedeutungszuwächse als hierarchisches Konstrukt an metropolitanen Vorbildern ausrichtet (vgl. unter dieser Perspektive etwa die Ergebnisse der Forschungsprojekte
Nr. 1 und 2 zu den Städtelandschaften in Kilikien und Mittelitalien im Arbeitsbericht, Kap. 3.2). Historisch ergeben auch die griechischen poleis, die römischen Kaiserresidenzen und Provinzzentren mit ihren vielfältigen Rom-Bezügen oder die dem König unterworfenen ‚bonnes villes‘ im spätmittelalterlich-absolutistischen Frankreich vielfältige Facetten dieses Forschungsfeldes. In der Vormoderne ist eine globale Vernetzung von Metropolen nicht ohne starke regionale Austausch- und hegemoniale Herrschaftsbeziehungen denkbar.


Ökologischer Fußabdruck der Metropole

Der französische König Johann II. erließ 1351 unter dem Eindruck der großen Pest eine erste große Ordonnance zu Sauberkeit und Hygiene in Paris, die ausführlichste Regelungen zum Umgang mit Abwässern, Entsorgung von Unrat, Halten von Tieren, landwirtschaftlichen und umweltschädlichen Tätigkeiten sowie zu deren Kontrolle und Sanktionierung enthielt (Oberste 2018: 174). Auch die Dissertationsprojekte zu Versorgungssicherheit und ökonomischen Risiken im antiken Rom und im spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Regensburg (Projekte Nr. 11, 12) berühren die negativen Folgen – oder im Sinne der neueren Umweltgeschichte den „ökologischen Fußabdruck“ (Hoffmann 2008; Sonnlechner 2010) – des vormodernen Metropolisierungsprozesses. Diese Beobachtungen korrelieren mit jüngeren archäologischen Untersuchungen zur prähistorischen und antiken Landwirtschaft Griechenlands. Demnach gab es in den vergangenen 8000 Jahren mehrfach Phasen von Entwaldung und katastrophaler Bodenerosion, die von der Forschung mit den Folgen der Urbanisierung und den städtischen Konsumbedürfnissen in Zusammenhang gebracht werden (Van Andel u.a. 1990). Bereits die Chicagoer Schule der Humanökologie hat Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen gebauter städtischer Umwelt und sozialem Verhalten und zu den sozialen Folgen städtischen Ressourcenverbrauchs und Umweltverschmutzung vorgelegt, die heute in der Umweltpsychologie und in den modernen Metropolitan Studies wieder aufgenommen werden (Häußermann/Siebel 2013). 

Erst in jüngerer Zeit hat die Umweltgeschichte auch die ökologischen Folgen der vormodernen Urbanisierung beachtet (vgl. Schliephake 2020). Im Juni 2020 diskutierten die Mitglieder des GRK mit W. Scheidel, Stanford, über dessen Thesen zu den ökologischen Bedingungen des Niedergangs Roms in der Spätantike und dessen Langzeitfolgen in Europa (Scheidel 2019). Auch die neuere Urbanisierungsforschung hat in jüngerer Zeit die umwelthistorische Perspektive für Langzeituntersuchungen entdeckt (Schott 2014). Für das Paradigma der Metropolität ist hier interessant, dass Städte zugleich als Zentren des Konsums und des Energieverbrauchs mit ökologischen Problemen und als Zentren „innovativer Problemlösungskompetenz“ mit einer Vorreiterrolle in Fragen der Technologien, der Infrastruktur oder des Gesundheitswesens in Verbindung gebracht werden (Schott 2014: 12-22).

An der Christian-Albrechts-Universität Kiel existiert seit 2019 der Exzellenzcluster „Roots. Connectivity of Society, Environment and Culture in Past Worlds“, der mit einem Schwerpunkt im Altertum die Verflechtungen zwischen Gesellschaft, Umwelt und Kultur erforscht und in seinem Subcluster „Urban Roots“ die besondere Rolle der Städte in diesem Beziehungsgeflecht thematisiert. Der Sprecher des GRK, J. Oberste, ist seit 2020 im Advisory Board von Roots, eine enge Zusammenarbeit insbesondere mit „Urban Roots“ ist für die zweite Antragsphase geplant.


Vormoderne Metropolen als Konflikt- und Möglichkeitsraum

Der doppelte Impuls von Innovation und Disziplinierung, kultureller Pluralität und sozialen Konflikten ist ein überzeitliches Kennzeichen von Metropolität. Schwentker (2006, 15) spricht vom „Janusgesicht der meisten Megastädte“ und von „wirtschaftlicher und sozialer Modernisierung auf der einen Seite“ und vom „chaotischen und grausamen Moloch, charakterisiert durch Armut, Kriminalität und Fragmentierung auf der anderen“. Im Beobachtungsfeld des literarischen Diskurses zeitigen diese ‚negativen‘ Aspekte der Metropolität beispielsweise auch satirische Spiegelungen der metropolitanen Geltungsansprüche im frühneuzeitlichen Londoner Drama, sowie Geltungskämpfe im – einigen Beobachtern zu inklusiv werdenden – Bildungssystem des Londoner Späthumanismus (Projekt Nr. 4). Oftmals sind diese Phänomene einzig im literarischen Diskurs fassbar, etwa wenn die sozialen Konflikte und ökonomischen Spannungen um die Kontrolle des metropolitanen öffentlichen Raumes im kaiserzeitlichen Rom in den politischen Diskurs um den guten oder schlechten Herrscher verlagert und dann in den Metaphern der alten Republik ausgetragen und damit historisiert werden. Die Untersuchung von politischen Krisendiskursen kann daher in vielen Fällen auch als Aspekt von Metropolitätsdiskursen gedeutet werden.

Die immensen Migrationsbewegungen, die die Grundlage des schnellen Wachstums der meisten Metropolen darstellten, gehen mit der Auflösung traditioneller dorfähnlicher Sozialstrukturen in Stadtvierteln, Straßenzügen und Nachbarschaften einher. Steigende Kriminalität war eine der unvermeidlichen Folgen des Metropolisierungsprozesses. In Paris führte die starke Immigration seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts zu intensiven normativen und polizeilichen Anstrengungen seitens der zuständigen Amtsträger. Doch bot die größer werdende Stadt nach der einschlägigen Studie von B. Geremek nicht nur Handeltreibenden, sondern auch Kriminellen beste Entfaltungschancen: „Vigilance was inevitably less strict and less effective, and life in the great metropolis provided greater possibilities for profit, as well as more opportunities for crime“ (Geremek 1987: 7; vgl. Brendecke 2018). Auf diesem Feld ist eine Zusammenarbeit mit dem neuen SFB 1369 „Vigilanzkulturen. Transformationen – Räume – Techniken“ (LMU München), insbesondere mit dem Teilprojekt B03 „Der Einsatz der Sinne. Wachsamkeit in frühneuzeitlichen Städten“ (A. Brendecke), vorgesehen, in welchem die Vulnerabilität vormoderner Metropolen (Augsburg, Florenz, Sevilla) mit der Steigerung und Steuerung von Sinneswahrnehmungen gemeinsam betrachtet wird.
Metropolen zeichnen sich daher zugleich durch die Akkumulation von Machtstrukturen, durch erhebliche Konfliktpotenziale und innovative Konfliktlösungsstrategien aus (vgl. Hochmuth/Rau 2006 und zuletzt Priebs 2011). Ob als antikes Provinzzentrum, mittelalterlicher Königssitz oder frühneuzeitliche Residenz eines Fürstenhofes – die Zentralisierung politischer, administrativer und rechtlicher Strukturen in einzelnen Städten bildet in der Vormoderne in aller Regel einen entscheidenden Standortvorteil im Prozess der Urbanisierung, der zur Hierarchisierung innerhalb des regionalen, nationalen oder ‚internationalen‘ Städtenetzes beiträgt, die sich oft auch in den kirchlichen Strukturen spiegelt (Merkt 2019). In metropolitanen Zentren der Antike und dann verstärkt des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit belebt das explosive demographische Anwachsen, verbunden mit der politischen Instrumentalisierung der breiten städtischen Bevölkerung (etwa der stadtrömischen plebs) und den konkurrierenden Partizipationsansprüchen ihrer Eliten, die Suche nach Praktiken zur Bewahrung der öffentlichen Ordnung und zur Vermeidung von Konflikten (zur stärkeren Regulierung von Sicherheitsstrukturen vgl. Kelly 2013; zur Stadtrechtspraxis B. Frenz 2003; zu Praktiken der Friedensstiftung Gonthier 1992; zur Kriminalität Schwerhoff 1991). Die Fragmentierung der metropolitanen Großbevölkerung in der rechtlichen und politischen Praxis in Stadtteile, Gerichtsbezirke, kirchliche Sprengel, Nachbarschaften u.a. bedingt dabei auf der anderen Seite symbolische und pragmatische Formen zentraler Herrschaft (z.B. die königliche Appellationsgerichtsbarkeit im spätmittelalterlichen Pariser Rechtsraum) und einheitsstiftender Ereignisse (z.B. Volksversammlungen), die dem Selbstbild der Metropole als Ganzes entsprechen. Das metropolitane Rechtssystem setzt aber auch ein erhöhtes Konfliktpotenzial frei: Metropolen sind stets Orte, an denen verschiedene Rechte und Gerichtsbarkeiten miteinander um Zuständigkeiten konkurrieren, vor allem geistliches und weltliches Recht und die jeweils zugehörigen Gerichte, aber auch verschiedene Schichten weltlichen Rechts und verschiedene weltliche Gerichte. Diese Zustände einer jurisdictional complexity oder hybridity sind allzu lang nicht in den Blick einer modernen Rechtsgeschichte genommen worden. Wie wurde diese Konkurrenz in Metropolen gelebt? Konnte es Metropolen gelingen, die jurisdictional complexity durch eine Zentralisierung von Recht und Rechtsprechung zu beseitigen und gegebenenfalls wie? (vgl. dazu Donlan/Heirbaut 2015). 

In einem Überblick über qualitative Definitionsangebote der Metropolitan Studies, die für das 19.21. Jahrhundert Geltung beanspruchen, hebt Reif als fünftes und letztes Kriterium die gesteigerten sozialen Handlungsoptionen hervor: „Metropolen kreieren auf Grund ihrer schieren Größe und hohen Dichte mehr Handlungs- und Lebensmöglichkeiten für Einzelne wie Gruppen, mehr Möglichkeiten der sozialen Konstituierung und Durchsetzung gesellschaftlicher Akzeptanz für Minderheiten, mehr, und genuin metropolitane Möglichkeiten des Erfolges wie des Scheiterns, der Inklusion wie Exklusion, der Innovation wie der traditionalen Rückbindung“ (Reif 2006: 2f.). Das Kriterium scheint deutlich mit modernen Erfahrungen von und Bedürfnissen nach individuellen Freiheiten und Selbstverwirklichungsmöglichkeiten zu korrelieren. In einem aktuellen Beitrag in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ verweist der Autor des Beitrags auf die soziale Gruppe „kulturell gebildeter Großstadtbewohner“, denen es um „Selbstverwirklichung, Nonkonformismus und Individualität“ gehe (R. Pausch, Die Zeit 28/2020: 7). Dennoch begegnet uns der großstädtische Möglichkeitsraum bereits in einem Paris-Text des späten Mittelalters. Um 1320 wird der Philosoph Jean de Jandun aus Paris vertrieben. Aus dem Exil widmet er Paris eine lange Eloge, die in dem schönen Satz gipfelt, nur als Bewohner von Paris habe man eine Existenz im absoluten Sinne, woanders allenfalls eine beschränkte (Opinor te confiteri quod esse Parisius est esse simpliciter; esse alibi non nisi secundum quid) [Jean de Jandun, Tractatus de laudibus Parisius, Paris 1867: 74].

Damit dürfte der Gelehrte auf Ovid, Epistulae ex Ponto anspielen, insbesondere 1, 8, 20-40. Hier beklagt der ans Schwarze Meer verbannte Dichter, dass man ihn von den urbanae commoda vitae ausgeschlossen habe, von den „Plätzen der herrlichen Stadt“, konkret den Märkten, Tempeln, marmorbedeckten Theatern, dem Marsfeld und den prächtigen Gärten, kurz von den „Wonnen der Großstadt“. Nicht zu bezweifeln ist, dass es sich hier um eine Ausnahme handelt und es dem mittelalterlichen Autor bei diesem Lob um die intellektuellen Entfaltungsmöglichkeiten an der Universitätsstadt Paris ging. Andererseits treffen wir bereits ein Jahrhundert früher, in der berühmten Paris-Beschreibung des Kardinals Jakob von Vitry, auf die Ambivalenz der großstädtischen ‚Angebote‘ und Lebensformen, wenn Jakob seine frühere Alma mater für ihre unerreichten theologischen Forschungen lobt, zugleich aber kritisch anmerkt, dass sich in vielen Studienhäusern Prostituierte und Gastwirte eingemietet hätten, die auf ihre Kundschaft warteten (Jacques de Vitry, Historia occidentalis, Fribourg 1972: 92). Die Idee der Metropole als eines gesteigerten Möglichkeitsraums kann also kaum – genauso wenig wie die übrigen Punkte des bei Reif genannten Katalogs metropolitaner Eigenschaften – als Alleinstellungsmerkmal der Moderne angesehen werden.

Besonders deutlich wird dies in der Gestaltung weiblicher Biographien. In der Antike war der urbane Raum der einzige Ort für Frauen, um Möglichkeiten außerhalb der ihnen zugedachten Rollen wahrzunehmen. Das lässt sich sehr plausibel im Kult nachvollziehen: Die von den Kaiserinnen des 1. Jh. n.Chr. ausgehenden Impulse – sie werden Priesterinnen (flaminicae) im Kult der vergöttlichten Kaiser in Rom – ermöglichen sowohl den Frauen des Herrscherhauses selbst als auch – nach ihrem Vorbild – den Frauen der provinzialen Elite in den Städten des Reiches neue Chancen der Selbstrepräsentation und eine Steigerung des familiären Prestiges über weibliche Familienmitglieder. Ansatzpunkte für Untersuchungen bieten beispielsweise Priesterinnen in den großen Metropolen der Provinz Asia, die in männliche Rang- und Ehrensysteme eingebunden oder familiär mit kultischen und politischen Funktionsträgern verschiedener Provinzen verbunden waren und damit auch transprovinziale Familiengefüge nachvollziehbar machen (vgl.

Hemelrijk/Woolf 2013; Edelmann-Singer 2014; dies. 2016).  
Die Forschung hat überdies schon länger auf die Erwerbschancen und Berufstätigkeit von Patrizierinnen und Handwerkerinnen in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten hingewiesen. Die vier Kölner Frauenzünfte gelten als Muster- und Ausnahmefall, der mit der
Bedeutung der Kölner Tuchproduktion und der Dimension der daran geknüpften Handelsnetzwerke Kölner Kaufleute zu erklären sei (vgl. Athenas 2016). Doch auch ohne die organisatorische Macht eigener Zünfte traten Frauen im städtischen oder metropolitanen Raum als erfolgreiche Händlerinnen, Unternehmerinnen, Geldwechslerinnen, Goldschmiedinnen und in vielen anderen Handwerken in Erscheinung, wie eindrucksvoll eine neuere Studie zu Pisa unterstreicht (Duval 2018). In den Listen der Pariser Kopfsteuer („Livres de la taille de Paris“), die aus den Jahren 1296 bis 1313 erhalten sind, beträgt der Anteil berufstätiger und steuerpflichtiger Frauen etwa 10% (Roux 1996 und neuerdings für die Frühneuzeit Castres 2020). Lokalforschungen aus vielen europäischen Regionen bestätigen diesen Eindruck, dass unter allgemein strengen Moralvorstellungen und Restriktionen Frauen in großen Städten von konventionellen Lebenswegen in häuslicher oder klösterlicher Klausur eher abweichen konnten, sei es als selbständige Unternehmerin, Begine oder Künstlerin (vgl. zu Beispielen aus Florenz De la Roncière 1990: 274-284).

Da gesellschaftliche Normdiskurse auf solche ‚Devianzen‘ reagieren, lässt sich durchaus ein zeitgenössisches Bewusstsein für die Folgen oder ‚Gefahren‘ des metropolitanen Möglichkeitsraums konstatieren: Der dominikanische Generalmagister Humbert de Romanis hat in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts eine Sammlung von Modellpredigten ad status, d.h. an die unterschiedlichen Stände und Gruppen der zeitgenössischen Gesellschaft, hinterlassen. In dem breiten sozioprofessionellen Schema fällt eine Gruppe von Predigten an städtisches Publikum auf, die wiederum in ritterlich-kaufmännische Oberschichten, handwerkliche Mittelschichten und arme Unterschichten gegliedert sind. Nur bei den Oberschichten werden explizit die Ehefrauen reicher Kaufleute adressiert, denen in Humberts Schema die Zuständigkeit für Haus und Kinder sowie im öffentlichen Raum für Almosen und Armensorge zugesprochen wird (Oberste 2002). Die kirchlichen Vertreter und insbesondere die den urbanen Eliten nahe stehenden Mendikantenorden wiesen – wenig überraschend – den Frauen ihre traditionelle Rolle in Familie, Gesellschaft und Kirche zu. Ähnlich formulierten auch viele Stadtrechte im Kanon der „ehrbaren Ehefrau“ soziale Restriktionen (am Beispiel Hamburgs detailliert aufgezeigt von Rogge 1998), während literarische Texte die urbanen Möglichkeitsräume durchaus aufzunehmen und zu steigern wussten. Christines de Pizan „Livre de la Cité des dames“ (um 1405) spielt dabei mit den kulturellen und sozialen Innovationspotenzialen des Städtischen, aber auch mit ihren gesteigerten Abwehrmechanismen gegen Partizipationsansprüche marginalisierter Gruppen (zuletzt Delogu 2014). Dabei ist das gesamte Werk Christines von den sozialen Erfahrungen, mentalen Strukturen und kulturellen Reichtümern der beiden Metropolen Venedig und Paris geprägt (dazu die Dissertation von Bourassa 2014). Im frühneuzeitlichen London werden auch im Theater Fragen der beruflichen Handlungsmöglichkeiten und Geschlechterverhältnisse verhandelt (dazu Howard 2007).



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Metropolität in der Vormoderne

DFG-GRK 2337

Sprecher

Prof. Dr. Jörg Oberste

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