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Presse

Sind Kinder Verhandlungssache?


19. Februar 2020 | Interview von Christina Glaser | Fotos von Markus Deli

„Sicher, auf die eine oder andere Art und Weise“, meint der Regensburger Volkswirt Prof. Dr. Fabian Kindermann. Zusammen mit Prof. Dr. Matthias Doepke von der Northwestern University (USA) hat er in der Zeitschrift American Economic Review den Artikel "Bargaining over Babies: Theory, Evidence, and Policy Implications" veröffentlicht. Uns hat Professor Kindermann erzählt, ob es eher Frauen oder Männer sind, die keine Kinder wollen, warum es zu Nachverhandlungen in der Partnerschaft kommen kann und wieso sich die Familienpolitik auf die Förderung von Familien mit mehreren Kindern konzentrieren sollte.


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Herr Professor Kindermann, Ihr Artikel heißt „Bargaining over babies…“. Sind denn Kinder Verhandlungssache?

Sicher, auf die ein oder andere Art und Weise. Wenn Kinder geboren werden, steckt dahinter im Normalfall eine Entscheidung von zwei Partnern. Verhandlungssache klingt natürlich ein bisschen unromantisch, aber wir betrachten das Problem des Kinderkriegens ja aus der Perspektive des Volkswirts. Das Schöne für uns ist, dass die Entscheidung für oder gegen ein Kind für die meisten Paare so fundamental ist, dass dabei auch ökonomische und strategische Überlegungen beider Partner eine Rolle spielen. Das belegen unsere Daten. Da sind natürlich einerseits die Wünsche einzelner Partner wichtig, aber andererseits auch die Kosten, die jeder der beiden Elternteile übernehmen müsste. Kinder sind selbstverständlich etwas Schönes, aber sie sind auch ein Kostenfaktor – nicht nur in Sachen Geld, wie z. B. für Nahrung oder Kleidung. Kinder bedeuten auch Einschränkungen, beispielsweise beruflicher Natur oder im Freizeitverhalten. Wenn also zwei Menschen überlegen, ob sie ein Kind wollen, müssen sie entsprechende Absprachen über die Aufteilung dieser Kosten treffen. Insofern bezeichnen wir Kinder auf jeden Fall als Verhandlungssache. Jede Übereinkunft zwischen zwei Parteien setzt eine Form von Verhandlung voraus – wenn auch vielleicht nicht so formal, dass man einen Vertrag schreibt, obwohl das manchmal vielleicht ganz gut wäre.

Der Kinderwunsch ist ja nun nicht immer bei beiden Partnern da…

Genau. Beide Partner können ganz unterschiedliche Wünsche haben, wobei sich Paare in der Regel schon entlang ihrer Wünsche sortieren. Trotzdem gibt es immer wieder Fälle in denen ein Partner Kinder haben möchte und der andere nicht. Wir wollen in unserer Studie beleuchten, wie weit man Verhandlungen zwischen zwei Partnern dehnen kann. Wenn ein Partner unbedingt ein Kind will, dann könnte er sozusagen das Kind kriegen, um das er sich dann kümmern darf und der andere Partner kriegt dafür eine Kompensation, z. B. mehr Freiheit im Berufsleben.

Wir haben uns gefragt, wie weit man diese Verhandlungen glaubhaft ausreizen kann. Denn bevor ein Kind da ist, kann man alle möglichen Absprachen treffen. Aber wenn das Kind da ist, dann muss sich auch jemand um das Kind kümmern. Man sieht erst zu diesem Zeitpunkt, ob das, was man vorher ausverhandelt hatte, überhaupt in dieser Form haltbar ist.

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Das heißt, es muss manchmal nachverhandelt werden?

Ja. Das Kind lebt dann ja, sagen wir mal, mindestens 18 Jahre im Haushalt. Man kann es nicht einfach wieder wegschicken, was natürlich auch keiner machen würde. Aber aus einer strategischen Perspektive sind sehr extreme oder sehr einseitige Absprachen, die man vorher vielleicht trifft, im Nachgang überhaupt nicht erfüllbar. Wenn Partner, die über ein Kind verhandeln, dieses Problem antizipieren, so entscheiden sie sich vielleicht schon von vorne herein gegen ein weiteres Kind.

Wenn man das jetzt auf die Perspektive von Mann und Frau im traditionellen Familienbild überträgt, in dem immer noch viele Kinder geboren werden, dann sind es meistens die Frauen, die einen Großteil der Arbeit, die mit Kindern verbunden ist, zu tragen haben. Frauen stecken oft auf dem Arbeitsmarkt zurück, sie arbeiten häufig gar nicht oder in Teilzeit. Und jetzt könnte es sein, dass sich Paare vorher überlegen, wie sie das Problem lösen. Um die Frau nicht einseitig zu belasten könnten sie z. B. vereinbaren, sich die Arbeit schön hälftig zu teilen. Aber wenn dann das Kind da ist, könnte ein Partner sagen: Jetzt lass uns doch nochmal darüber reden, wie wir das machen. Eigentlich habe ich überhaupt keine Lust, mich um das Kind zu kümmern, sondern möchte lieber meine Karriere verfolgen.

Dass zwischen Partnern Konflikte entstehen können, ist aber nichts Neues…
Diese Theorien um Konflikte bezüglich des Kinderkriegens gibt es beispielsweise in der soziologischen und demographischen Forschung schon länger. In der volkswirtschaftlichen Forschung hat man sich bis jetzt aber darauf beschränkt, dass man den Haushalt als eine Einheit betrachtet, die gemeinsam Entscheidungen trifft – Entscheidungen, die immer zum Wohle des gesamten Haushalts getroffen werden.

Wir wollten aus dieser Ecke von ökonomischen Betrachtungen heraustreten. Das war bis jetzt nicht ganz einfach durchzusetzen, weil die Datenlage schlecht war. Inzwischen gibt es aber wesentlich mehr Haushalts-Studien, in denen nicht nur kernökonomische Fragen gestellt werden, sondern auch Fragen über Erwartungen und Wünsche und wie man mit gewissen Lebenssituationen umgeht. Damit stellt sich die Frage, ob unsere volkswirtschaftliche Denkweise darüber, wie der Haushalt Entscheidungen trifft, adäquat ist.

Man sieht in den Daten, dass es bei Paaren vermehrt Konflikt darüber gibt, ob sie Kinder haben wollen oder nicht. Konkret wird in einem Survey gefragt: Möchten Sie aktuell oder in den nächsten drei Jahren ein Kind bekommen? Da können wir für verschiedene Länder sehen, wie viele Frauen und wie viele Männer kein Kind bekommen möchten.

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Und? Sind es eher Frauen oder eher Männer, die keine Kinder wollen?

In Ländern mit einer niedrigen Fertilitätsrate, zum Beispiel in Deutschland oder Italien, sind es die Frauen, die kein Kind bzw. kein weiteres Kind wollen. Man kann auch sehen, dass in diesen Ländern Frauen überproportional stark mit den Kosten von Kindern belastet werden. Damit meine ich nicht nur die finanziellen Kosten, sondern z. B. auch die Karriere. Und es stellt sich auch die Frage, wer in der Freizeit zurückstecken muss. Wer steht in der Früh auf und kümmert sich darum, dass die Kinder in die Schule gehen und wer
kontrolliert die Hausaufgaben? Die Indikatoren deuten darauf hin, dass in Ländern mit niedriger Fertilitätsrate Frauen einen übermäßig großen Anteil der Kosten für die Kindererziehung tragen müssen.

Und das führt zu weniger Kindern?

Ja, denn Frauen sind deswegen tendenziell gegen weitere Kinder. Nicht aus dem inneren Wunsch heraus, sondern weil ein zusätzliches Kind oft viel Aufwand bedeutet und die Frauen auch schauen müssen, wo sie selbst bleiben. So gesehen ist die Herangehensweise des Staates, der den Haushalt als Einheit unterstützt, zum Beispiel durch Steuerfreibeträge für Kinder oder Kindergeld – die ja allgemeine Transfers in den Haushalt sind –, vielleicht gar nicht so wirkungsvoll.


Warum?

Weil das Kinderkriegen nun mal vornehmlich von einer bestimmten Seite des Haushalts blockiert wird. In den Ländern mit niedrigen Fertilitätsraten sind das eben die Frauen, die durch die Rahmenbedingungen stark mit den Kosten von Kindern belastet werden. Für eine möglichst effiziente Familienpolitik muss man sich überlegen, welche Art von Politikmaßnahme es ist, die tatsächlich die Kosten des Kinderkriegens von Frauen beeinflusst. Das kann man auf einem abstrakten Weg machen: Wenn man ganz gezielt den Frauen in den Familien Unterstützung zukommen lassen könnte, dann wäre so eine Familienpolitik gegenüber allgemeinen Transfers sicher zwei- bis dreimal so kosteneffektiv. Aber das ist natürlich illusorisch.

Wir können nicht in einem Haushalt nur der Frau etwas Gutes tun. Aber wir müssen uns überlegen, wie reale Politik diese Art von Subvention widerspiegelt.

Jetzt gibt es ja Länder wie Belgien, Frankreich oder die skandinavischen Länder, in denen die Familienpolitik anscheinend besser läuft. Was machen sie anders?

Die Politik dieser Länder ist viel stärker darauf ausgerichtet, dass Frauen im Arbeitsmarkt bleiben, auch wenn sie Kinder kriegen. Das unterstützt die Politik zum Beispiel durch eine sehr frühe Kinderbetreuung oder auch durch Kinderbetreuung
an dem Ort, an dem Frauen arbeiten. Und die Kinderbetreuung ist erschwinglich.

Sowohl in den skandinavischen Ländern als auch in Frankreich ist das Steuersystem viel stärker auf Kinder ausgerichtet. Bei uns ist das Steuersystem primär auf Ehen ausgerichtet, d. h. wenn man verheiratet ist, bekommt man durch das  Ehegattensplitting potentiell Steuervorteile. Es gibt auch einen Kinderanteil, aber in Frankreich ist es so, dass das Steuersystem ganz massiv auf Kinder ausgerichtet ist. Wenn ich zwei Kinder habe, dann bringt das meine Steuerlast ordentlich nach unten. In den skandinavischen Ländern gibt es ein Steuersystem, das auf den Erwerb von  beiden Partnern ausgerichtet ist. So schafft man es, Lasten zwischen den Partnern besser zu verteilen. Und längerfristig gesehen zeigt sich, dass solche Systeme auch soziale Normen prägen können, also die Vorstellung davon, wie das optimale Familienbild ausschaut. Das ist meiner Meinung nach auch eine wichtige Komponente.

In Deutschland gibt es immer noch die Rabenmutter-Diskussion: Wenn Frauen arbeiten, dann leiden die Kinder. Das ist vermutlich aus einer Zeit erwachsen, in der es einfach nicht die Möglichkeit gab, dass Mütter arbeiten. Da braucht es mittelfristig  einen Schub in die richtige Richtung, um diese Normen zu verändern.


Dann könnten wir einfach beispielsweise das System aus Frankreich übernehmen?

In Frankreich hat man es vielleicht ein bisschen zu weit getrieben, so dass sich Frauen dort durch die sozialen Normen sogar gezwungen sehen, zu arbeiten. Wenn da eine Frau mit Kindern zu Hause bleibt, gilt das häufig als sozial unerwünscht. Der Ansehensverlust geht also in die andere Richtung. Hier sollte man darauf achten, dass man die Balance hält. Nichtsdestotrotz ist es in Ländern mit niedrigen Fertilitätsraten wichtig, dass man sich um eine strategische Familienpolitik Gedanken macht. Vor  allem sollte man sich überlegen, wo das eigentliche Problem liegt. Ich glaube, dass wir, zumindest wir als Ökonomen, bis dato noch gar nicht so richtig verstanden  haben, wo das Kernproblem ist. Ich denke – um nochmal darauf zurückzukommen – ein guter Ansatzpunkt ist die Verhandlung zwischen den beiden Partnern. Hier muss man eine Balance zwischen den Wünschen und den Kosten schaffen.


Mit mehr Balance steigt also die Anzahl der Paare, die ein Kind kriegen?

Das bringt mich zu einem weiteren Thema – nämlich dazu, an welchem Punkt es dazu kommt, dass Frauen keine weiteren Kinder wollen. Wenn man die Daten nach der abgeschlossenen Fruchtbarkeitsphase, also bei Frauen etwa im Alter von 50 Jahren anschaut, sieht man, dass sehr viele Frauen ein Kind bekommen haben. Das sagt  relativ viel über Sinn und Unsinn von familienpolitischen Leistungen aus. Das Elterngeld wird beispielsweise, wie fast alle familienpolitischen Leistungen, im vollen Umfang ab dem ersten Kind bezahlt. Wenn aber nur etwa 20 Prozent der Frauen kinderlos sind, dann ist klar: Wenn man für jedes erste Kind genauso viel ausgibt wie für das zweite, dann hat man einen riesigen Kostenblock, der nur sehr wenig bewirken kann. Denn diese Kinder sind sowieso da, auch wenn kein Elterngeld bezahlt wird. Es sind also insbesondere die zweiten und dritten Kinder, bei denen wir ansetzen sollten.

Wenn wir die Fertilitätsrate erhöhen wollen, dann hilft es vielleicht mehr, wenn wir Ein-Kinder-Haushalte dazu bewegen noch ein zweites und vielleicht ein drittes Kind zu bekommen, anstelle zu versuchen, die kinderlosen Haushalte dazu zu bewegen, ein Kind zu bekommen.

Hätten Sie denn einen Vorschlag für eine zielgerichtete Familienpolitik?

Nun ja, wenn ich das Elterngeld anschaue, dann ist das eher eine Leistung dafür, dass Frauen zu Hause bleiben. Damit dränge ich Frauen wieder aus dem Arbeitsmarkt. Die Politik geht aber schon in die richtige Richtung. Es gibt jetzt das Elterngeld Plus und es gibt Partnermonate, wenn auch nur zwei. Was meiner Meinung nach wirklich wichtig ist, ist einerseits eine vernünftige Bereitstellung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten, diese sind vor allem in großen Städten noch häufig unterentwickelt. Das ist einfach ein Ding der Unmöglichkeit, zumal in den Städten die Haus- und Mietpreise so hoch sind, dass Familien auf zwei Einkommen angewiesen sind. Das Zwei-Verdiener-Modell sollte man also sinnvoll unterstützen. Und dann muss man sich auch überlegen, wie man eine Unternehmenskultur schafft, die dieses
Familienmodell mitträgt. Das kann durch Subventionen von staatlicher Seite gefördert werden. Es kann sich aber auch die Erkenntnis durchsetzen, dass in Müttern, die derzeit daheimbleiben oder in Teilzeit arbeiten, gewaltiges Potential steckt – gerade in Zeiten des Fachkräftemangels, in denen man händeringend qualifizierte Arbeitskräfte sucht.


Solche Umbrüche passieren aber wohl nicht von heute auf morgen…

Natürlich nicht. Gesellschaftliche Vorstellungen und Normen verändern sich nicht von jetzt auf gleich. Aber wir machen ja nicht nur Politik für das hier und jetzt, sondern auch für die Zukunft. Alle verschließen gerne vor der Zukunft die Augen, weil wir wissen, dass uns die niedrigen Fertilitätsraten irgendwann einholen. Wir wünschen uns ja nicht nur mehr Kinder, weil wir uns an Kindern erfreuen, sondern auch, weil eine schrumpfende und überalternde Bevölkerung ganz massive realwirtschaftliche Konsequenzen bedeuten. Denken Sie nur an die Entwicklung des Rentensystems und der sozialen Sicherungssysteme. Wie wird es sein, wenn auf jeden Rentner nur noch ein Erwerbstätiger kommt? Und wenn dann auf den Erwerbstätigen noch potentiell eine Frau und drei Kinder kommen, um im klassischen Rollenbild zu bleiben? Dann bürdet man am Ende dem Alleinverdiener nicht nur die Sorge um die eigene Familie, sondern um die gesamte Familiendynastie auf. Wie soll das funktionieren? Wir wissen es nicht. Deshalb müssen wir in den Zeiten, in denen wir erkennen, dass solche Probleme auf uns zukommen können, alles dafür tun, um sämtliches Erwerbspotential zu aktivieren – und eine der größten Gruppen sind eben die Mütter.

Herzlichen Dank für das Gespräch.


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