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Ein Blick auf das ZIB – Inklusion in der Schule erleben und verstehen

Im Rahmen der Maßnahme „Zusatzstudium Inklusion – Basiskompetenzen“ wurde – wie der aussagekräftige Name schon verrät – ein Zusatzstudium für Lehramtsstudierende entwickelt, innerhalb dessen die Studierenden grundlegende Kompetenzen erwerben, um in ihrer späteren Berufspraxis in verschiedenen inklusiven Settings gemeinsam mit dem Schulteam, Fachkräften und Familien das Lernen aller Kinder in der Schule erfolgreich gestalten zu können.

Gemeinsam mit Helen Gaßner-Hofmann, die seit Beginn der Förderphase von KOLEG2 Projektmitarbeiterin in der Maßnahme ist, die alle nur kurz und bündig „ZIB“ nennen, habe ich – Christina Ehras – ein Schreibgespräch über das Vorhaben geführt.


Vielleicht fangen wir zunächst bei etwas Grundlegendem an: Welches Inklusionsverständnis möchtet ihr den Studierenden im Laufe des Zusatzstudiums mit auf den Weg geben?

Helen Gaßner-Hofmann: Den Begriff „Inklusion“ zu definieren, daran haben sich schon viele die Zähne ausgebissen. Oft wird zwischen einem weiten und einem engen Inklusionsverständnis unterschieden. Der weite Inklusionsbegriff meint im Setting Schule, dass jede*r Schüler*in in meiner Klasse ganz unterschiedlich ist, unterschiedliche Bedürfnisse hat, auf die ich als Lehrkraft eingehen muss – und das ist „normal“. Eine inklusiv arbeitende Schule nimmt alle Schüler*innen auf und hat die Individualität eines jeden Kindes im Blick. Der enge Inklusionsbegriff fokussiert im Speziellen Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Eine inklusiv arbeitende Schule ist hier eine Regelschule, in der auch Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichtet werden. Im bildungspolitischen Kontext orientiert man sich eher an dieser engen Sichtweise von Inklusion. Es geht hier v.a. um den Beschulungsort der Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf.

Im ZIB ist es uns wichtig, den Studierenden ein weites Verständnis von Inklusion mit auf den Weg zu geben, den Blick für die Individualität eines jeden Kindes bzw. Jugendlichen zu schärfen. Viele Inhalte im ZIB sind für die gemeinsame und dennoch individualisierte Beschulung aller Schüler*innen wichtig, z.B. die Arbeit mit Kooperationspartner*innen, die pädagogische Diagnostik und die Gestaltung adaptiven Unterrichts. Aus verschiedenen Gründen fokussieren die Inhalte im ZIB oft aber auch die Beschulung von Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf: Zum Ersten werden diese Schüler*innen noch am meisten mit Exklusionserfahrungen bzw. eigentlich Segregationserfahrungen (insbesondere in Bezug auf den Beschulungsort) konfrontiert. Damit zusammenhängend ist die Inklusionsbewegung auch eine Bewegung, die primär von Menschen mit Behinderung bzw. ihren Verbänden angestoßen und gestaltet wurde. Zum Zweiten sind sonderpädagogische Inhalte nicht Teil des Regelschullehramtsstudiums, aber in der Inklusion dringend nötig. So sollen diese im ZIB berücksichtigt werden. Das heißt nicht, dass es unser Ziel ist, Sonderpädagog*innen zu ersetzen. Das wäre in der Inklusion fatal! Aber Regelschullehrkräfte müssen in Berührung mit sonderpädagogischen Inhalten kommen, um beispielsweise besondere Bedürfnisse zu erkennen und sich dann adäquat auch Hilfe bei Expert*innen zu holen. Zum Dritten bereiten wir im ZIB natürlich auf eine Arbeit als Lehrkraft im bayerischen Schulsystem vor, das – wie bereits erwähnt – eher ein enges Inklusionsverständnis vertritt.

Und wie ist das Zusatzstudium in seinen Grundzügen aufgebaut?

Helen Gaßner-Hofmann: Das Zusatzstudium erstreckt sich über drei Semester, welche parallel zum Regelschullehramtsstudium stattfinden. Das Besondere am ZIB ist die starke Verknüpfung von Theorie und Praxis. Praktische Anteile, also Praktika, nehmen einen mindestens so großen Anteil ein wie theoretische, also universitäre Seminare. Beispielsweise besuchen die Studierenden in den Semesterferien insgesamt drei Blockseminare und gehen gleichzeitig aber auch insgesamt drei Wochen ins Blockpraktikum. Besonders deutlich wird die Verknüpfung unter dem Semester: Hier gehen die Studierenden in jedem Semester an einem Vormittag der Woche ins Praktikum. Freitags besuchen sie dann immer ein Begleitseminar, in dem ihre Praxiserfahrungen vor- und nachbereitet werden. Es wird auf der einen Seite darauf geachtet, dass Praxiserfahrungen aufgegriffen und deshalb in ihrer Komplexität aufgebrochen und nutzbar gemacht werden. Auf der anderen Seite werden theoretische Inhalte auf ihre Relevanz für die praktische Arbeit geprüft und deren Anwendung in der Praxis gezielt angeleitet.
Einen genaueren Einblick in den Aufbau des ZIB bekommt man auf der ZIB-Homepage.

Was erstaunt die Studierenden denn am meisten, wenn sie mit der neuen Perspektive des Inklusionsgedankens, die sie in den Seminaren erfahren, im Praktikum auf den Unterricht blicken? Vielleicht ist das auch zu allgemein und du kannst von einer besonderen Erfahrung aus den zurückliegenden Seminaren berichten, die dir bei dieser Frage in den Sinn kommt.

Helen Gaßner-Hofmann: Das Erste, was mir hier in den Sinn kommt, ist der veränderte Blick auf die Schüler*innen, den die Studierenden an sich selbst wahrnehmen. Es ist auch immer wieder schön, wenn man merkt, dass sich das Sprechen über die Schüler*innen verändert. Es werden nicht nur Schwächen wahrgenommen und als unlösbare Probleme gesehen, sondern es entwickelt sich eine echte Wertschätzung für den*die Schüler*in, ein echtes Interesse, die versteckten Bedürfnisse des Kindes zu erkennen. Dazu ist mir dieses Zitat einer Studentin in Erinnerung geblieben:

„[…] aber jetzt noch mehr, denke ich, weil man irgendwie noch offener wird. Und auch irgendwie lernt, jedes Kind mit seinen Eigenheiten einerseits zu akzeptieren und auch wertzuschätzen, also auch wenn das Kind manchmal vielleicht echt schwierig sein kann. Irgendwo gibt es dann doch Momente, wo man denkt, jawohl, ähm, ich mag dich genauso gern wie alle anderen. Und ich weiß nicht, dass ist vielleicht vorher ein bisschen- da habe ich vorher vielleicht einen anderen Blick darauf gab, es dann schwieriger ist, den Unterricht so zu gestalten, dass man jeden mitnimmt. […] Aber das war jetzt kein konkreter Moment, sondern einfach viele kleine Momente.“ (Z2_2_I2)

Nichtsdestotrotz sammeln die Studierenden auch viele Erfahrungen, an denen sie merken, dass dieses weite Inklusionsverständnis noch nicht voll an den Schulen angekommen ist. Hier fehlen oft Ressourcen unterschiedlichster Art. Die Studierenden nehmen hier immer wieder wahr, dass wir erst auf dem Weg zur inklusiven Schule sind – zumindest nach dem weiten Inklusionsverständnis. Da ist noch viel zu tun!

Ihr evaluiert das Zusatzstudium auch. Kannst du uns noch einen kurzen Einblick in die Ergebnisse dieser Evaluation geben?

Helen Gaßner-Hofmann: Da die Datenerhebung noch nicht abgeschlossen ist, kann ich keine endgültigen Ergebnisse berichten. Aber, wenn man jetzt beispielsweise die Studierendengruppe betrachtet, die im vergangenen Frühjahr das ZIB abgeschlossen hat, so deuten erste Berechnungen auf bedeutsame Entwicklungen in mehreren Bereichen hin:
Die Studierenden haben sich in ihrem Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten, im inklusiven Setting zu unterrichten, (die sogenannte inklusionsspezifische Selbstwirksamkeit) scheinbar signifikant (also quasi „überzufällig“) weiterentwickelt. Sie schätzen sich „durch die Bank“ nach dem ZIB fähiger ein, im inklusiven Setting zu arbeiten, wenn man sie direkt danach fragt. Dabei sind die Praxiserfahrungen scheinbar für sie besonders bedeutsam, aber auch die Reflexionen der Praxiserfahrungen im Seminar und die (theoretischen) Inputs durch Dozierende oder Expert*innen werden als sehr wichtige Faktoren im ZIB wahrgenommen. Auch haben sich die Studierenden in ihren inklusiven Haltungen, also den Einstellungen gegenüber einer inklusiven Beschulung, scheinbar signifikant positiv entwickelt. Zudem schätzen sie das eigene Wissen zum Thema Inklusion global gesehen größer ein als noch vor dem ZIB.

Entspricht die Entwicklung der Studierenden euren Hoffnungen bzw. Erwartungen?

Helen Gaßner-Hofmann: Wenn man eine Intervention plant, dann macht man das ja immer mit der Hoffnung, positive Weiterentwicklungen zu erzielen. Das ZIB ist zudem eine Maßnahme des KOLEG2-Projekts der Universität Regensburg und bezweckt somit ganz klar die Verbesserung der universitären Lehrkräfteausbildung. Ziel, Hoffnung und natürlich auch Erwartung (ansonsten hätten wir das ZIB anders gestaltet) war, dass die Studierenden im ZIB befähigt werden, im inklusiven Setting zu arbeiten. Dafür ist es nötig, entsprechende Einstellungen, Handlungskompetenzen und Wissensbestände zu fördern. Die ersten Tendenzen der Begleitforschung, welche ich gerade kurz angerissen habe, sehen diese Erwartungen durchaus bestätigt. Das ist natürlich ein tolles Zwischenergebnis!
Ganz abgesehen von diesen „hard facts“ der Datenerhebung, ist das Feedback der Studierenden sehr positiv. Diese entscheiden sich mit dem Zusatzstudium für eine zusätzliche Belastung bzw. Aufgabe während ihres regulären Studiums. Und uns wird immer wieder zurückgemeldet, dass diese Entscheidung nie bereut wurde. Im Gegenteil, es melden sich tendenziell immer mehr Studierende zum ZIB an, obwohl es immer weniger beworben wird. Die beste Werbung ist scheinbar die Mund-zu-Mund-Propaganda. Auch unsere Praktikumsschulen werden immer zahlreicher, obwohl wir den Praktikumslehrkräften keine Anrechnungsstunden bieten können. Die Studierenden helfen so engagiert in den Schulen mit, dass sie in der Regel als große Bereicherung gesehen werden. Eine Win-Win-Win-Situation also! Das alles macht das ZIB, ehrlich gesagt, für uns als Dozierende zu einem wahnsinnig befriedigenden Projekt! Es macht große Freude, hier beteiligt zu sein!

Den Einblick können wir mit der Stimme einer ZIB-Studierenden schließen:

„[…] also wir alle, die ja die Teilnehmer*innen von ZIB waren haben schon gesagt, das ist einfach so das Highlight vom Studium gewesen, ähm, dass wir da die Möglichkeit hatten eben in so einer kleinen Gruppe so viel Erfahrungen und so viel Wissen, ja, zu bekommen also halt wirklich auch in so einem Zusatzstudium, also das hat mich ja dann auch überrascht, ich hab mich ja eigentlich recht impulsiv da angemeldet ohne viel nachzudenken- auch was halt dann da rausgekommen ist- […] also, ähm, ja es wär echt- war echt eine Erfahrung, die ich nicht mehr missen will und, ähm, ja, also das hat mich auf jeden Fall besser vorbereitet auf das zukünftige Berufsleben, als das normale Studium.“ (Z1_11_I3)

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