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Journal 1/2024

Vorwort der Herausgeber | Journal für Kunstgeschichte 1/2024

Von Kriegen und Anti Aging-Cremes

Kein schöner Jahresbeginn, wirklich nicht. Weltpolitisch viele komplexe Themen, zwei Kriege, deren Ende wir nicht absehen. Nicht nur in Deutschland ein erschreckend wachsender und offen ausgelebter Antisemitismus. Diskussionen um Strike Germany, Apartheid und Genozid. Emotional geführte Debatten, um die Frage, wo Kunst im Israel-Krieg vermitteln und zum Dialog beitragen kann, wo Kunst aber vielleicht auch die Gräben vergrößert, wo über Boykott diskutiert wird, Künstler:innen dieser Tage nun vermehrt ihre Werke aus Ausstellungen zurückziehen, da sie ein klares Statement gegen Israel fordern und das Nicht-Performen, das Nicht-Ausstellen zum Druckmittel wird. Und wir uns alle fragen, wie sich dies in den nächsten Monaten entwickeln wird, haben wir doch noch kurz nach dem 7. Oktober Richtung Ivy League Colleges in den USA geblickt und gehofft, dass wir nicht an diesen Punkt der Diskussion kommen würden. In diesen aufgewühlten und oft frustrierenden Zeiten, die wir gerade erleben, waren die aktuellen Nachrichten um die in Belgrad geborene Performance-Künstlerin Marina Abramović überraschend: ‚Die‘ Künstlerin des Schmerzes, die Meisterin der seelischen und körperlichen Qualen, die bislang die Dimensionen von Verwundbarkeit, Masochismus und die Stufen der menschlichen Grausamkeit in zahlreichen Performances auszuloten wusste, und die das Thema Krieg, Heimatverlust und Schmerz in Performances wie Balkan Baroque von 1997 verarbeitete, während der sie vier Tage lang einen Berg mit Rinderknochen gesäubert, und dabei Trauerlieder gesungen hatte, um ihrer Trauer über die Kriegstoten in ihrer Heimat während der Jugoslawienkriege Ausdruck zu verleihen, machte nun nicht mit einer Arbeit zu Krieg von sich reden, sondern mit der Vermarktung einer Anti Aging-Gesichtspflegeserie.

Diese soll das Immunsystem stärken, für Energie sorgen und Allergien abwenden. Die mit der Alternativmedizinerin Nonna Brenner entwickelte Lotion aus Weißwein und Weißbrot habe gemäß der propagierten Langlebigkeitsphilosophie einen Verjüngungseffekt. Heike Blümner von der Welt sieht in „Marina Abramović Longevity Method“ „ihre vermutlich lustigste Performance überhaupt“, denn: Humor, so die Journalistin, gebe es nicht im Werk der Ausnahmekünstlerin. Dem kann man widersprechen, und beim Lesen der Künstlerinbiografie wird deutlich, wie subtil-humorvoll sie ihre Kindheit beschreibt, bei der beide Elternteile mit Pistolen auf dem Nachttisch schliefen, um direkt einem möglichen Angreifer begegnen zu können. Bei all den derzeitigen Diskussionen, was Kunst darf und was sie nicht darf, ist die Frage, darüber nachzudenken, ob man sich beim Kauf eines Tiegels der Pflegecreme der ‚Longevity Method‘ eine echte Abramović sichert oder nur eine esoterisch angehauchte Weißbrot-Creme mit Brotkrümeln, die vielleicht doch ein wenig auf der Haut schmerzen, eigentlich sehr humorvoll – und macht das Leben ein wenig leichter, zumindest kurz.

  

Birgit Ulrike Münch                                                              ​​​​​​​Christoph Wagner


Das Vorwort und das Inhaltsverzeichnis zum Download.


  1. Fakultät für Philosophie, Kunst-, Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften