„Unique!? Unikate im Zeitalter der Ubiquität“
Internationale Konferenz an der Universitätsbibliothek bringt Perspektiven aus Geisteswissenschaften und Gedächtnisinstitutionen zusammen
23. September 2022 | von Lea Marquart
Am 15. und 16. September 2022 fand an der Universitätsbibliothek Regensburg die internationale Konferenz „Unique!? Unikate im Zeitalter der Ubiquität“ statt. Die interdisziplinäre Tagung brachte Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen aus Bibliotheken, Archiven und Museen zusammen, um gesellschaftliche Funktionen sowie wissenschaftliche und künstlerische Potenziale von Unikaten zu diskutieren. Der Umgang mit Unikaten, einzigartigen Objekten wie etwa Manuskripten oder Autographen in Nachlässen und Sammlungen, denen bereits Walter Benjamin eine eigene „Aura“ zuschrieb, stellt eine gemeinsame Zukunftsfrage für Geisteswissenschaften und Gedächtnisinstitutionen dar, insbesondere vor dem Hintergrund der Digitalisierung. In einem fruchtbaren Austausch zwischen Theorie und Praxis konnten sich die Teilnehmer*innen der zweitägigen Konferenz der Komplexität eines ubiquitär verwendeten Begriffes annähern sowie wichtige Forschungsdesiderata und Handlungsfelder formulieren. Die Tagung wurde von der Fritz Thyssen Stiftung und der Vielberth-Stiftung gefördert.
Im Eröffnungsvortrag schnitt Kristian Jensen (British Library) zahlreiche Fragen an, die sich als roter Faden durch die folgenden Diskussionen ziehen sollten, von der Fragilität des Konzeptes „Unikat“, das immer relational, so etwa im Kontext einer konkreten Sammlung, verstanden werden muss, über den symbolischen und materiellen Wert von Unikaten bis hin zu ihrem Verhältnis zu digitalen Reproduktionen.
Eve Neiger (Boston Public Library, USA) illustrierte in einem sehr persönlichen Beitrag über den Umgang mit Nachlässen in Archiven im Vergleich zum familiären Kontext im Bereich der Holocaust-Forschung die Verlustprozesse, denen die Überlieferung unikaler Objekte und Sammlungen unweigerlich unterliegt, und plädierte für größtmögliche Transparenz über kontextuelle Faktoren der Erschließung in Findmitteln.
Prof. Dr. Christian Benne (Universität Kopenhagen) regte in seinem Beitrag Reflexionen über die ethischen Implikationen der Bedeutung von Unikaten für die Geisteswissenschaften an. So zeigte er Perspektiven auf das Unikat als „Atopos“ auf, der sich in unerwarteter Weise verhält und sich so gesellschaftlichen Erwartungen verweigert.
Den zweiten Konferenztag eröffnete Galadriel Chilton (Ivy Plus Libraries Confederation, USA) mit einem Einblick in die Erprobung eines kooperativen Bestandsmanagements durch die Mitgliedsbibliotheken der IPLC, eines Zusammenschlusses führender US-amerikanischer Universitätsbibliotheken, und illustrierte eindrücklich die Chancen und Herausforderungen der institutionsübergreifenden Zusammenarbeit.
Dr. Bernhard Fetz, Direktor des Literaturarchivs und Literaturmuseums an der Österreichischen Nationalbibliothek, vertiefte schließlich anhand von vier Beispielen – von der Arbeitshose von Thomas Bernhard bis zum Arbeitszimmer von Friederike Mayröcker – Überlegungen zur Schwierigkeit, den physischen und ideellen Kontext des Originals in einer digitalen Reproduktion abzubilden.
Den Abschluss der Konferenz bildete der Vortrag von Dr. André Schüller-Zwierlein, Direktor der Universitätsbibliothek Regensburg, mit anschließender Führung durch die begleitende Ausstellung. Anhand ausgewählter Beispiele aus den Sondersammlungen der Universitätsbibliothek wurden die kulturellen Praktiken, aus denen Unikate entstehen, noch einmal greifbar: Akte der Individualisierung, der Freundschaft, des Mit- und Umschreibens und des Publizierens. Bei der abschließenden Diskussion vor den Objekten wurden noch einmal Desiderata formuliert. Wie können Unikate digital zugänglich gemacht werden, ohne dass ihr Kontext verloren geht? Wie kann die Forschung zu besonderen Objekten und unikalen Sammlungen – etwa zur Briefkunst Michel Butors oder zu den Manuskripten des Pulitzer-Preisträgers Franz Wright aus den Sammlungen der Universitätsbibliothek Regensburg – gefördert werden? Wie kann anhand solcher Objekte Studierenden ein erweitertes Textverständnis unter Einbeziehung von Entstehungs- und Kanonisierungsprozessen vermittelt werden?
Die zweitägige Konferenz „Unique!?“ an der Universität Regensburg bezeugt das Sammeln und Bewahren, aber auch die langfristige Zugänglich- und Sichtbarmachung von Unikaten für die gegenwärtige und zukünftige Forschung als bedeutende Aufgaben für Wissenschaft und Gesellschaft, die nur in der übergreifenden Kooperation unterschiedlicher Institutionen zu bewerkstelligen sein werden.
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