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Oft hielt sich ein Passant die Nase zu…

Viel Marmor, allerlei Müll: Es roch übel in antiken Metropolen – Aus der Jahrestagung des DFG-Graduiertenkollegs 2337 „Metropolität der Vormoderne“ an der Universität Regensburg


8. Dezember 2023

Historische Berichte über Gerüche und Düfte sind wertvolle Quellen für die Geschichtswissenschaft. Denn schon immer haben Menschen das, was sie riechen, mit Kontexten und Bedeutung versehen: Als im fünften Jahrhundert v. Chr. die Pest in Athen wütet, vermutet Thukydides ihren Ursprung in den üblen Gerüchen, die über der Stadt liegen, ausgedünstet von Menschen und Boden. Dies ist nur eine olfaktorische Perspektive auf die antike Großstadt, die das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Graduiertenkolleg (GRK) 2337 „Metropolität der Vormoderne“ an der Universität Regensburg (UR) in seiner Jahrestagung 2023 thematisierte.

Dr. Arabella Cortese, wissenschaftliche Koordinatorin des GRK 2337, begrüßte von 23. bis 25. November 2023 gemeinsam mit ihren Kollegen Julian Zimmermann (UR) und Dr. Markus Zimmermann, Universität Bayreuth, Wissenschaftler*innen verschiedener Disziplinen zu diesem Thema an der UR, unter ihnen zahlreiche Doktorand*innen und Postdocs des GRK.

Ihre Anziehungskraft führte bei vielen Metropolen der europäischen Antike und des Mittelalters zu Strahlkraft, Reichtum und Wachstum. Doch die damit verbundenen infrastrukturellen Leistungen für die Bewohner*innen dieser Städte – ihre Versorgung, die Beseitigung von Unrat und Dreck, generell Hygiene - waren Herausforderungen, die man vielerorts offenbar nicht besonders gut meisterte. Wie werden unangenehme Gerüche in Texten beschrieben? Wann geht es um individuelle Wahrnehmung von „angenehm“ und „unangenehm“, wo hingegen greifen gesellschaftliche Vorstellungen? Welche kultur- und sozialgeschichtlichen Erkenntnisse lassen sich daraus ziehen?

Dr. Markus Zimmermann skizziert den Fragenkatalog beim ersten Tagungspanel, moderiert von UR-Professor Dr. Dirk Steuernagel, Klassische Archäologie UR, der die Tagung gemeinsam mit der UR-Vizepräsidentin für Diversity und Internationalisierung, Professorin Dr. Ursula Regener, eröffnete.

Das Ende der Verklärung

Einblicke gibt in einer kurzweiligen und kenntnisreichen Keynote der renommierte Altertumswissenschaftler Professor Mag. Dr. Dr. h. c. Günther E. Thüry (Paris Lodron Universität Salzburg). Der Autor des Klassikers „Müll und Marmorsäulen“ beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Siedlungshygiene in antiken römischen Städten und räumte als einer der ersten Wissenschaftler mit dem verklärten Blick auf die antiken Stätten auf: „Eine realistische Vorstellung vom römischen Stadtleben lässt sich nur bekommen, wenn man auch anrüchige Aspekte und Geruch nicht vernachlässigt“, sagt Thüry. Er zitiert Archäologen des 19. Jahrhunderts, die ihren Arbeitern ob des üblen Gestanks aus verwesten Böden bei Grabungen Pausen geben mussten. Er erzählt von Pompeji in den 1960er Jahren, wo freigelegte Amphoren den Geruch 2000 Jahre alter Fischsauce verströmten.

Thüry illustriert seinen Vortrag mit experimentalarchäologischem Bildmaterial. Er klassifiziert und kategorisiert. Etwa „Produktionsgerüche“: Dazu gehören negative Gerüche aus Abwasser und zurückgelassenen Abfällen, der Dunst der Tavernen, der Zubereitung von Fleisch, Fisch und Meeresfrüchten. Damit vermischte sich der Rauch von Räucheranlagen für Fleisch und Käse. Besonders an Feiertagen, sagt Thüry: „Wenn dann noch Sitzmöbel und Tische auf die Straße getragen wurden, stank die ganze Stadt.“ Professorin Dr. Anna Novokhatko von der Universität Thessaloniki wird dann aber auch ganz andere Gerüche erwähnen - Knoblauch, Käse und attischen Honig -, wenn sie die Wahrnehmung der Stadt in der altgriechischen Komödie bei Aristophanes analysiert.

Keynote-Speaker Professor Mag. Dr. Dr. h. c. Günther E. Thüry (im Vordergrund) bei der Jahrestagung des GRK 2337 an der Universität Regensburg. Foto: Julia Dragan/UR

Lebende Tiere, tote Tiere

Es gab viele Geruchsplagen, von denen antike Autoren berichten. Vieh wurde in die Innenstädte getrieben, um es zu verkaufen oder als Opfertiere zu schlachten. In Pompeji etwa hat man Ställe für Pferde, Rinder und Esel, die als Zug- und Reittiere gehalten wurden, ausgegraben. Es gab Orte auch für Tiere, die für Auftritte in Amphitheatern gehalten wurden. Tierkadaver lagen ebenfalls mancherorts, von erschlagenen Hunden, verendeten Pferden. Auf Straßen sollte das eigentlich nicht sein, berichten antike Autoren. Es passierte trotzdem.
 

Bei der Tagung des GRK 2337 an der Universität Regensburg. Foto: Julia Dragan/UR

Tierknochen und Tierhaut, Rohstoffe für Leimsieder, verbreiteten „sehr übelriechende Dämpfe, welche Arbeiter und Nachbarschaft belästigen“ zitiert Thüry antike Beobachter, und dann gab es die Gerber und fullones: Sie stellten Tuch her, färbten es, reinigten Kleidung und nutzten dafür Schwefel, oft auch Exkremente. Hinzu kam Rauch, von überall vorhandenen Feuerungsanlagen, Öfen und Lampen der Haushalte, eisen- und bronzeverarbeitender Betriebe, Töpfereien: „Typisch ist für römische Städte, dass sich geruchsintensive Gewerbe nicht in bestimmten Vierteln konzentrierten, sondern über die ganze Stadt verteilten.“ Marina Pizzi (UR) widmet ihre Überlegungen den verarbeitenden Betrieben.

Wollte man den Geruch verhindern?

In einem der Tagungspanel berichtet Adrian Linz (UR) vom Gestank durch Kulthandlungen: In Syrakus stand der wohl größte Altar der Antike, auf dem sich 450 Stiere gleichzeitig verbrennen ließen. In Athen gedachte man mit dem Opfern von 500 einjährigen Ziegen der Schlacht von Marathon. Kilometerlange Prozessionen und Triumphzüge, mit hunderten, oft tausenden von Pferde- und Eselswägen zogen Fäkalspuren durch die antiken römischen Städte. Empfanden die Stadtbewohner*innen der Antike die Gerüche ritueller Handlungen als unangenehm?

Wohl schon. Reliefs lassen vermuten, dass man der Geruchswolke mit dem Einsatz von Weihrauch entgegenwirkte. Er war über Jahrtausende Mittel und Teil ritueller Kommunikation und übernahm dabei auch eine praktische Rolle, in dem er den Geruch der Leichen auf Beerdigungen übertünchte. Professorin Dr. Annette Haug (Universität Kiel) beschäftigt sich mit den Strategien eines „olfaktorischen Designs im Stadtraum“ und den Inschriften, die dazu aufforderten, die Dinge in den Griff zu bekommen. In Pompeji scheint dies kaum gelungen zu sein, berichtet Dr. Laura Nissin (Aarhus Institute of Advanced Studies).

Bei der Tagung des GRK 2337 an der Universität Regensburg. Foto: Julia Dragan/UR

Abfälle und Exkremente

Zum Geruch kamen allgegenwärtige Müllablagerungen. „Man kann sagen, dass antike Literatur eine unerschöpfliche Fundgrube ist“, sagt Thüry, der unlängst auf eine Stelle gestoßen ist, „die klar bestätigt, dass in römischen Siedlungen keine kommunale Müllabfuhr existierte“. Für Müllentsorgungen war die Bürgerschaft selbst verantwortlich. Archäologische Untersuchungen zeigten regelmäßig, dass das nur sehr bedingt funktionierte: „Es gab Deponien, aber trotzdem lagen Abfälle überall herum. Das galt für Inneres von Gebäuden, aber auch für öffentlichen Raum.“

Inzwischen hat Thüry bei Plutarch einen literarischen Hinweis gefunden, der für absichtliche Müllverbrennung spricht. Doch meistens blieben die Abfälle, etwa aus Küchen und Schlachtereien, einfach irgendwo auf den Straßen liegen. Amphoren mit alter Fischsauce, Öl oder Wein deponierte man auf einem Haufen, etwa in den Hafenvierteln. Dem Gestank versuchte man mit dem Streuen von Kalk zwischen den Scherben einzudämmen.

Ein weiteres ungelöstes Thema: Exkremente, tierische wie menschliche. Die Archäologie identifiziere sie immer wieder als Bestandteil üblicher antiker Müllablagerung, berichtet Thüry, auf „normalen“ Deponien, oft auf Straßen. Für die Latrinen fehlte ausreichend Wasserdruck, und auch die römische Kanalisation war störanfällig und das Netz nicht vollständig. Abwasser lief ungeklärt in sauberes Wasser. Oder einfach auch auf die Straße. Man goss alle möglichen Flüssigkeiten aus dem Fenster, erzählt Thüry, urinierte auf offener Straße oder nutzte Brunnen als Pissoir. Erlaubt war das alles nicht immer.

Überschaubare Gegenmaßnahmen

Es gab Maßnahmen von Behörden und Privaten zur Verbesserung der Situation - etwa eine große Zahl an Gemeindeordnungen. Dr. Francesco Bono (Università Parma) setzt sich bei der Tagung mit rechtlichen Dokumenten zum Thema auseinander. Denn Straßen galt es verkehrstüchtig zu halten, Dreck aus dem Fenster zu werfen war in vielen Städten eigentlich verboten. Professorin Dr. Anna Modigliani (Università degli Studi della Tuscia) verweist darauf, dass Festtagsprozessionen, die sich durch die Städte bewegten, oft schon Grund genug waren, die Straßen freizuhalten. Professor Dr. Jorit Wintjes (Universität Würzburg) widmet sich dem olfaktorischen Fußabdruck der römischen Armee in der Kaiserzeit: Dabei geht es weniger um Schlachten als um die Interaktion des Berufsmilitärs mit der übrigen städtischen Welt.

Der Gestank der Städte war ein großes Thema über Jahrhunderte hinweg. Das illustrieren auch die Vorträge von Ronja Schünemann (TU Chemnitz) und Dr. Julia Seeberger (Universität Erfurt), die sich mit besonderen Ereignissen aus dem 12. und 13. Jahrhundert beschäftigen. Der Blick auf London im 18. Jahrhundert von Professorin Dr. Franziska Neumann (TU Braunschweig) wirft allerdings andere Fragen auf – die Quellen für die größte Metropole des Zeitalters seien „geruchsblind“, so die Historikerin. Warum, ist bislang unklar. Denn auch London duftete nicht: Die Anglistin Sophie Bantle (Universität Freiburg) hat eindeutige Hinweise dafür in den detektivischen Ermittlungen in den „Frankenstein Chronicles“ des 19. Jahrhunderts gefunden.

Bei der Tagung des GRK 2337 an der Universität Regensburg. Foto: Julia Dragan/UR

Warum geschah nicht mehr gegen die Zustände, die man als Plage empfand? Und was dachten die Menschen darüber? Sie waren offenbar auch damals nicht begeistert. Thüry berichtet, er habe um die 30 Erwähnungen belästigter Nasen gefunden. Gerüche, so vermutet man in einer Zeit, die Bakterien und Viren noch nicht kennt, verbreiten Krankheiten: Als im fünften Jahrhundert vor Christus die Pest in Athen wütet, vermutet Thukydides ihren Ursprung in den üblen Gerüchen, die über der Stadt liegen, berichtet vom míasma, giftigen Ausdünstungen der Menschen und des Bodens, die über die Luft Krankheiten verbreitet haben sollen. Dr. Markus Zimmermann und Professor Dr. Giuseppe Squilacce (Università della Calabria) blicken während der Tagung näher auf diese Aspekte. Professorin Dr. Anna Esposito (Università La Sapienza) lässt den Blick über die Stadt hinaus, in die Dörfer und Siedlungen Latiums schweifen.

Zum Ende seines Vortrags fragt Thüry endlich, warum man sich eigentlich nicht um Verbesserungen bemühte, wenn man sich am Geruch störte, ihn auch als Gesundheitsrisiko betrachtete. Warum nahm man das in Kauf? Sei das nicht überraschend? Nun – nicht wirklich, glaubt der Wissenschaftler. Menschen neigten ganz offensichtlich zu Selbstgefährdungs- und Selbstschädigungsverhalten. „Wir sehen es heute, im Angesicht der Katastrophe.“

twa.

Bei der Tagung des GRK 2337 an der Universität Regensburg. Foto: Julia Dragan/UR

Informationen/Kontakt

Die Tagung fand in enger Kooperation mit der Universität Bayreuth statt.

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Über Prof. Mag. Dr. Dr. h. c. Günther E. Thüry

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