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Mitteilungen der Universität Regensburg

Für eine gerechtere Zukunft

UR-Professor Dr. Thorsten Kingreen im Gespräch über seine Arbeit in zwei Regierungskommissionen


11. Oktober 2022

Es sind zwei der wichtigsten und meistdiskutierten Themen der Gegenwart: Welche Maßnahmen sollen künftig zur Bekämpfung von Pandemien ergriffen werden, und wie kann man die Krankenhausversorgung in Deutschland für die Anforderungen der Zukunft rüsten. Um diese Fragen zu erörtern hat die Bundesregierung Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen in der „Kommission zur Novellierung des Infektionsschutzgesetzes“ und der „Kommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ eingesetzt. Professor Dr. Thorsten Kingreen, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sozialrecht und Gesundheitsrecht der Universität Regensburg wurde aufgrund seiner Expertise in beide Kommissionen berufen. Für die UR gibt er in einem Gespräch Einblicke in die Arbeit in den Kommissionen. 


Sehr geehrter Herr Professor Kingreen, die Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung ist eine interdisziplinär besetzte Kommission, die schriftliche Stellungnahmen zu einzelnen Fragen der zukünftigen Krankenhausversorgung abgeben soll. Ihre Empfehlungen sollen die Grundlage für die im Koalitionsvertrag vereinbarten Krankenhausreformen ab dem Jahr 2023 bilden. Wie können wir uns das Arbeiten in dieser Kommission vorstellen?

Kingreen: Zuerst einmal ist diese Kommission sehr arbeitsintensiv. Wir treffen uns im Zweiwochenrhythmus sowohl zu digitalen Sitzungen als auch zu Klausurtagungen, an denen teilweise auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach teilnimmt. Es geht um die grundsätzlichen Fragen, wie wir die ärztliche Versorgung der Zukunft gestalten wollen. Ich halte es aus einer Vielzahl von Gründen für ein eminent wichtiges Signal, dass dieses Thema von der Bundesregierung oben auf die Agenda gesetzt wurde.

 
Was sind die Zielsetzungen der Kommission?

Kingreen: Der Fokus liegt auf der Frage, wie wir die sektorale Trennung zwischen ambulanter Versorgung und Krankenhausversorgung, die die ärztliche Versorgung in Deutschland prägt, einebnen können. Wir haben in Deutschland die historisch gewachsene Situation, dass die ärztliche Versorgung auf zwei völlig unterschiedlichen Schienen läuft, die kaum Berührungspunkte haben: auf der einen Seite die ambulante Versorgung durch Ärzte in den Praxen, wo die Planung durch die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen verantwortet wird; auf der anderen Seite die Krankenhäuser, für die die Länder die Planungsverantwortung haben, in Bayern das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege. Auch die Finanzierung ist unterschiedlich: Die gleiche medizinische Leistung wird in der Praxis anders bepreist als im Krankenhaus. Gerade in ländlichen Regionen merken wir, dass dieses „Nebeneinander-Herplanen“ der ärztlichen Versorgung nur Nachteile bringt. Für die Patient:innen ist es nämlich häufig nicht entscheidend, ob sie in einem Krankenhaus oder in einem Medizinischen Versorgungszentrum, das systematisch zur ambulanten Versorgung gehört, behandelt werden. Wir haben in Deutschland keine zielgenaue Planung und Finanzierung der ärztlichen Versorgung aus einer Hand; das führt in einigen ländlichen Gegenden zu der absurden Situation, dass die Krankenhäuser zum Hausarzt werden. Man weiß ja in Deutschland noch nicht mal, wen man im Notfall anrufen soll: die 116117 für den ärztlichen Bereitschaftsdienst oder den allgemeinen Notruf 112? 
Ein zweiter Fokus der Kommission ist die zunehmende und grundsätzlich auch notwendige Spezialisierung der Krankenhäuser. Ebenso wenig wie Sie mit einem Piloten fliegen wollen, der das nur einmal im Jahr macht, wollen sie keinen Arzt, der die bei Ihnen anstehende OP das letzte Mal vor einem Jahr durchgeführt hat. Auf die fachlich sinnvollen Mindestmengen kommt ein Krankenhaus in dünn besiedelten Gebieten aber natürlich seltener als in der Großstadt. Das muss aus medizinischer Sicht zu einer Konzentration auf wenige Krankenhausstandorte führen. Aber gesellschaftspolitisch müssen wir auch den ländlichen Raum attraktiv halten und daher zu weite Anfahrtswege vermeiden. Wenn man da eine Zauberformel hätte, wäre man reich und berühmt. Sicherung von Leistungsstärke und Qualität, aber auch Fairness beim Zugang zwischen Stadt und Land und auch die Überwindung der problematischen Zweiteilung zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung sind für mich als Sozialrechtler die wichtigsten Anliegen in dieser Kommission.


Wie lange wird die Arbeit in der Kommission laufen?

Kingreen: Die Arbeit dieser Kommission ist anders angelegt, als es beispielsweise die Arbeit in der Kommission zur Novellierung des Infektionsschutzgesetzes war, bei der am Ende der mittlerweile veröffentlichte Gesamtbericht erstellt wurde. In der Krankenhauskommission sind wir angehalten, kurzfristig zu akuten Fragen konkrete Vorschläge zu machen, aber auch ein längerfristig angelegtes Grundkonzept für eine Krankenhausreform zu entwerfen. Ein erster Schritt ist hier der kürzlich veröffentlichte Vorschlag für eine Tagesbehandlung in Krankenhäusern, von der wir uns auch eine Entspannung der Personalsituation in den Krankenhäusern erhoffen. Wir beginnen jetzt mit der Arbeit an einem Grundkonzept, das wird Zeit benötigen, so dass man nicht sagen kann, wann die Kommissionsarbeit beendet sein wird. 


Sie haben gerade die Kommission zur Novellierung des Infektionsschutzgesetzes angesprochen. Worauf lag der Fokus in dieser Kommission? 

Kingreen: Die Zusammensetzung der Kommission war ebenfalls interdisziplinär. Das muss man besonders betonen, denn in der Öffentlichkeit und auch in der wissenschaftlichen Politikberatung hat lange Zeit der medizinische Blick auf das Virus dominiert. Die Kommission hat sich daher zwar auch und vollkommen zurecht mit infektiologischen und epidemiologischen Grundsatzfragen befasst. Aber wir haben uns etwa auch zur Krisenkommunikation geäußert, die wir für ausbaufähig halten, zu den nur unzureichend berücksichtigten psychosozialen Folgen von Schul- und Universitätsschließungen und schließlich auch zu den diversen Rechtsproblemen, die die Bewältigung der Pandemie aufgeworfen hat. 
Wir haben zudem thematisiert, dass die Pandemie die sozialen Schieflagen weiter verschärft hat. Um nur ein Beispiel aus dem universitären Kontext aufzugreifen: Es hätte auf der einen Seite vielen Studierenden sehr geholfen, die beitragsfreie Mitversicherung in der Krankenversicherung und den Kindergeldbezug in der Pandemie für zwei Jahre zu verlängern, und auf der anderen Seite war es dann eher peinlich, dass die bayerische Staatsregierung jedem/r Professor:in 1300 € steuerfreie Corona-Prämie überwiesen hat. 


Werden wir, aus rechtlicher Sicht, künftig besser auf Pandemien vorbereitet sein? 

Kingreen: Im Moment haben wir leider nach wie vor eine „atemlose Gesetzgebung“. Man scheint zu glauben, dass man nur die Gesetze machen muss, die man gerade akut braucht. Aber das ist nicht die Funktion von Gesetzen. Die Kommission hat daher vorgeschlagen, für die in Pandemien notwendigen Maßnahmen jeweils präziser formulierte Ermächtigungsgrundlagen zu schaffen, in denen festgelegt ist, welche Anforderungen erfüllt sein müssen, um die entsprechenden Maßnahme zu ergreifen. Auch schlagen wir vor, auf die Konstruktion der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ zu verzichten.


Konnten Sie sich Ihrer Meinung nach in der Kommission ausreichend einbringen und können Sie uns ein Beispiel nennen?

Kingreen: Ich konnte die Punkte, die mir wichtig waren und sind, tatsächlich alle einbringen. Wir haben z.B. verfassungswidrige Normen benannt, die gestrichen werden müssen. Wichtig war mir auch, wie wir zukünftig mit den finanziellen Lasten von solchen Großschadensereignissen umgehen. Die Geschichte zeigt, dass Gesellschaften auf neue soziale Risiken reagieren müssen. Denken Sie nur an die Einführung der Pflegeversicherung 1994, die, wie wir heute wissen, schon 20 Jahre zu spät kam. Daher diskutieren wir nicht erst seit der Hochwasser-Katastrophe im vergangenen Jahr über eine obligatorische Elementarschadensversicherung für Hauseigentümer:innen. Bislang ist es hier so, dass ein Teil der Eigentümer:innen versichert ist, ein Teil nicht. Die Versicherten fragen sich hier natürlich, warum sie sich versichern sollen, wenn am Ende doch immer der Staat zahlt. Auch die staatlichen Haushalte halten aber nicht beliebig viele Pandemien und Umweltkatastrophen aus. Das war mir ein sehr wichtiger Punkt und den konnte ich in den Bericht einbringen. Die Arbeit in der juristischen Gruppe war sehr ergiebig, und es hat aus dieser Gruppe niemand etwas vorzeitig an die Presse gegeben. 


Sie haben es gerade angesprochen. Es sind immer wieder Interna aus der Arbeit der Kommission zur Novellierung des Infektionsschutzgesetzes in der Presse aufgetaucht. Wo liegen die potenziellen Schwierigkeiten bei dieser Art der Arbeit? 

Kingreen: Die Pandemiebekämpfung hat in den zurückliegenden Jahren unter enormen gesellschaftlichen Spannungen stattgefunden. Das hat tatsächlich dazu geführt, dass leider auch aus unserer Kommission immer wieder Interna an die Presse durchgestochen wurden. Ich kann guten Gewissens sagen, dass ich geschwiegen habe. Leider haben sich nicht alle Kolleg:innen an dieses Schweigegelübde gehalten. Einmal mehr hat sich auch gezeigt, dass die Wissenschaftskommunikation via Twitter jedenfalls sehr anspruchsvoll und im Zweifel eher keine gute Idee ist. Ich wurde erstmals in eine Kommission gewählt, die ein gesellschaftlich hochbrisantes Thema betroffen hat. Da war es für mich eher eine negative Erfahrung, dass wir schlussendlich nicht offen miteinander reden konnten, weil man Bedenken haben musste, dass eine interne Diskussion wenige Minuten später durch die sozialen Netzwerke gejagt wird. Das habe ich so noch nie erlebt. Wissenschaftliches Arbeiten geschieht eher im Stillen und man nähert sich langsam und im vertraulichen Diskurs der Wahrheit an, und nicht mit hyperaktiven Tweets.
Wir waren also zwar formal eine Kommission von Wissenschaftler:innen, die aber unter den Bedingungen gearbeitet hat, die wir sonst nur aus politischen Gremien kennen. Es ist dem enormen Einsatz Einzelner zu verdanken, dass dennoch so ein fundierter Bericht dabei herausgekommen ist. Dass es Kritik gibt, gehört ja zur Wissenschaft dazu, und politisch-gesellschaftlich handelt es sich ohnehin um ein Thema, bei dem man es nie allen recht machen kann. Die Arbeit in der Krankenhauskommission läuft im Gegensatz dazu bislang still und vertraulich ab – natürlich auch, weil dieses Thema größtenteils unter dem Radar der allgemeinen Öffentlichkeit läuft. 


Lohnt sich die Arbeit in den Kommissionen Ihrer Ansicht nach? 

Kingreen: Diese Frage muss man sich immer wieder kritisch stellen. Wenn sie auf das Finanzielle anspielen, kann ich sie beruhigen: Für beide Kommissionen habe ich genau Null Euro bekommen. Es ist eine sehr arbeitsaufwändige ehrenamtliche Aufgabe, die ich aber gerade im Hinblick auf die Third Mission sehr gerne mache. Wenn sich aber, wie bei der Abgabe des Kommissionsberichts zum Infektionsschutzgesetz, ein reiner Pressetermin in Berlin und meine Vorlesung an der Universität Regensburg überschneiden, dann fahre ich nicht für ein hübsches Pressefoto in die Hauptstadt, sondern stelle mich lieber in den H20. 

Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg in Ihrer Kommissionsarbeit. 



 Professor Dr. Thorsten Kingreen, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sozialrecht und Gesundheitsrecht der Universität Regensburg. © Jannek Wehrstein/Universität Regensburg

Informationen/Kontakt

Prof. Dr. Thorsten Kingreen
Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sozialrecht und Gesundheitsrecht Fakultät für Rechtswissenschaft
Universität Regensburg
Tel.: +49 (0)941/943-2607
E-Mail: thorsten.kingreen@ur.de
 

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