Lehrkräfte sind signifikant häufiger von Stimmerkrankungen betroffen
Der Lehrberuf ist ein Sprechberuf: Egal ob Lehrkräfte Wissen vermitteln, das Lernen begleiten, Elterngespräche führen, ihre Schüler:innen auch abseits des Unterrichts betreuen – sie sind in einer kommunikativen Situation und auf ihre Stimme angewiesen. Im Deutschunterricht ist mündliche Kommunikation darüber hinaus nicht nur Unterrichtsmittel, sondern auch Unterrichtsgegenstand. Die lange Sprechdauer über den gesamten Unterrichtstag hinweg, bei erhöhtem Umgebungslärm führt häufig zu Stimmbelastungen und sogar Erkrankungen der Stimme. Ca 30% der Lehrkräfte weisen eine funktionelle Stimmstörung auf (Meuret, 2017), was auf Dauer die Ausübung des Berufes erschweren oder sogar unmöglich machen kann. Das Risiko steigt noch um das 1,6-fache, wenn während des Studiums keine Stimm- und Sprechausbildung erfolgt (ebd.). Unterrichtsausfälle und negative Konsequenzen für den Lehr-Lernkontext sind die Folgen: Eine erkrankte bzw. heisere Lehrerstimme wirkt sich negativ auf den Lehr-Lernkontext und die Motivation der Schüler:innen aus (Voigt-Zimmermann, 2017). Ergebnisse des Projekts FALKE-q und FALKE-e der Universität Regensburg zeigen außerdem, dass besonders für Schüler:innen der Stimm- und Körperausdruck einer Lehrkraft von großer Bedeutung ist (Lägel-Gunga, in Vorb.). Präventionsangebote zur Stimmgesundheit und die Förderung mündlicher Kompetenzen bei Lehrkräften sind also sowohl aus gesundheitlicher, präventiver Sicht aber auch in Bezug auf einen optimalen Lehr-Lern-Kontext für die Ausübung dieses Berufes relevant.
Sprecherziehungsangebote für Lehramtsstudierende: das CoVoC-T als Pionierprojekt in Bayern
Nur in wenigen Bundesländern sind obligatorische Sprecherziehungsangebote fest im Lehramtsstudium intergriert. Bayern gehört nicht dazu. Lediglich für die zweite Phase der Lehrkräftebildung sind welche vorgesehen (vgl. §19 Abs 1 Nr 7 ZALG; §22 Satz 2 ZALGM). Dennoch gibt es wenige, fakultative Angebote an bayerischen Universitäten, die Lehramtsstudierende im Bereich Sprecherziehung wahrnehmen können. Dieses Angebot steht oder fällt mit personellen Ressourcen der betreffenden Hochschulen und wird dann meist nur durch Lehrbeauftragte ermöglicht. Als institutionalisiertes Angebot in Bayern zur Mündlichkeit findet sich nur das Lehrgebiet Mündliche Kommunikation und Sprecherziehung an der Universität Regensburg, welches im Zertifikatsstudiengang „Angewandte Sprechwissenschaft“ und im berufsbegleitenden Masterstudiengang „Speech Communication and Rhetoric“ Sprechwissenschaftler:innen und Sprecherzieher:innen ausbildet und für Hörende aller Fakultäten Kurse in Rede- und Gesprächsrhetorik sowie Stimm- und Sprechbildung anbietet. Speziell für Lehramtsstudierende gibt es seit 2019 nun das Communication and Voice Center for Teachers welches als bayernweit einmaliges Angebot sowohl Beratung als auch Weiterbildung für den Themenkomplex Stimme, Sprechen und Kommunikation im Lehrberuf anbietet.
FORSCHUNG AN DER UNIVERSITÄT REGENSBURG
Das CoVoC-T, die Fächern Sprechwissenschaft/Sprecherziehung, Medizinische Psychologie und Methoden der empirischen Bildungsforschung an der Universität Regensburg arbeiten gemeinsam in Kooperation mit dem Arbeitsmedizinischen Institut für Schulen in Bayern (AMIS-Bayern), angesiedelt am Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) an einem gemeinsamen Praxis- und Forschungsprojekt:
Ziel des „Regensburger Stimmtrainings“ (ReSt) ist die Entwicklung und wissenschaftliche Begleitung einer App zur Prävention von Stimmstörungen für das bayerische Schulpersonal. Im Rahmen der App sollen auf anschauliche Weise nützliche Hintergrundinformationen zu Stimme und Sprechen im Lehrberuf sowie Tipps und Strategien für den Unterrichtsalltag verknüpft werden, um Lehrkräfte für einen effektiven und gesunden Einsatz ihrer Stimme zu sensibilisierenZiel des „Regensburger Stimmtrainings“ (ReSt) ist die Entwicklung und wissenschaftliche Begleitung einer App zur Prävention von Stimmstörungen für das bayerische Schulpersonal. Im Rahmen der App sollen auf anschauliche Weise nützliche Hintergrundinformationen zu Stimme und Sprechen im Lehrberuf sowie Tipps und Strategien für den Unterrichtsalltag verknüpft werden, um Lehrkräfte für einen effektiven und gesunden Einsatz ihrer Stimme zu sensibilisierenDie Untersuchung von Gegner (2021) fokussierte in erster Linie die stimmliche Leistungsfähigkeit von künftigen Deutschlehrkräften und deren Einfluss auf die rederhetorischen und die sprechkünstlerischen Kompetenzen der Studierenden.
Zentrales Errgebnis: Ca. 30 % der angehenden Lehrkräfte (N = 198) haben keine leistungsfähige Stimme. Dies wirkt sich auch auf ihre sprechkünstlerischen Fähigkeiten aus.
In ihrer laufenden Promotion an der Universität Regensburg untersucht Lägel-Gunga im Rahmen des FALKE-Projekts den Einfluss von Stimm-, Sprech- und Körperausdruck von Lehrkräften auf die wahrgenommene Qualität ihrer Erklärungen
Zentrales Ergebnis: Für Schüler:innen ist der Sprech- und Körperausdruck einer Lehrkraft ein entscheidender Prädiktor für die wahrgenommene Qualität einer Erklärung
Im Rahmen ihrer Masterarbeit erstellte Fröhlich-Necker eine Onlineumfrage unter bayerischen Lehrkräften (N = 499) zur stimmlichen Selbsteinschätzung.
Zentrales Ergebnis: 30% aller befragten Lehrkräfte beschreiben ihre Stimme während eines typischen Arbeitstages als geringgradig, 10% als mittelgradig und 1% als hochgradig gestört.
Literaturangaben:
Fröhlich-Necker, J. (2021). Selbsteinschätzung der Stimmsituation bayerischer Lehrer:innen (= unveröffentlichte Masterarbeit an der Universität Regensburg.)
Gegner, C. (2021). Mündliche Kompetenzen von Lehramtsstudierenden: Stimmliche Leistungsfähigkeit, rederhetorische und sprechkünstlerische Kompetenzen bei künftigen Deutschlehrkräften. Berlin: Frank & Timme.
Lägel-Gunga, E., Schilcher, A., Kranich, W., Gegner, C. (in Vorb.). FALKE-SE (Sprechwissenschaft/Sprecherziehung). Einfluss des Sprech- und Körperausdrucks von Lehrkräften auf die wahrgenommene Qualität von schulischen Erklärungen. In Schilcher, A., Krauss, S., Lindl, A., Hilbert, S. (Hrsg.), Fachspezifische Lehrerkompetenzen im Erklären. Weinheim: Beltz Juventa.
Meuret, S. (2017). Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit der Pädagogenstimme? In: Fuchs, M. (Hg.): Die Stimme im pädagogischen Alltag (= Kinder- und Jugendstimme, Band 11, 49–54). Berlin: Logos.
Voigt-Zimmermann, Susanne (2017): Auswirkungen der heiseren Stimme von Pädagogen auf die Leistungen von Kindern. In: Fuchs, Michael (Hrsg.): Die Stimme im pädagogischen Alltag (= Kinder- und Jugendstimme, Band 11). Berlin: Logos. S. 37-48.
ZALGM = Zulassungs- und Ausbildungsordnung für das Lehramt an Grundschulen und das Lehramt an Mittelschulen (ZALGM) in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. September 1992 (GVBl. S. 454, BayRS 2038-3-4-1-3-K), die zuletzt durch § 1 Abs. 113 der Verordnung vom 26. März 2019 (GVBl. S. 98) geändert worden ist. Zugriff am 16.04.2023 unter http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayZALGH.
Weiterführende Literatur:
Koufman, James A./Isaacson, Glenn (1991): The Spectrum of Vocal Dysfunction. In: The Otolaryngologic Clinics of North America. Voice Disorders, 24 (5). S. 985-988.
Lindl, A., Gaier, L., Weich, M., Frei, M., Ehras, C., Gastl-Pischetsrieder, M., Elmer, M., Asen-Molz, K., Ruck, A., Heinze, J., Murmann, R., Gunga, E., Röhrl, S. (2019). Eine ‚gute‘ Erklärung für alle?! Gruppenspezifische Unterschiede in der Beurteilung von Erklärqualität – erste Ergebnisse aus dem interdisziplinären Forschungsprojekt FALKE. In Ehmke, T., Kuhl, P., Pietsch, M. (Hrsg.): Lehrer. Bildung. Gestalten. Beiträge zur empirischen Forschung in der Lehrerbildung, 128–141. Weinheim: Beltz Juventa.