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Mitteilungen der Universität Regensburg

(Un-)Sicherheiten: Amerikas europäische Agenda

Jeff Rathke, US-Deutschlandexperte, im Austausch mit UR-Studierenden und PD Dr. Gerlinde Groitl zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen und transatlantischer Partnerschaft


22. Juni 2023

Washington und Berlin: Wie hält man es miteinander? Was steht auf der Agenda, was wird das Verhältnis der Zukunft prägen? Am 22. Mai 2023 sprach Jeff Rathke, Präsident des Think-Tank American-German Institute AGI an der Washingtoner Johns Hopkins University, an der Universität Regensburg zum Thema „Germany and the U.S. - Future Challenges to the Core of the Transatlantic Partnership" im Rahmen einer Vortragsreihe zu transatlantischen Sicherheitsfragen mit dem Titel „(In)Security: Europa und Amerika in der modernen Welt“. Eingeladen hatte PD Dr. Gerlinde Groitl, Akademische Oberrätin an der UR-Professur für Internationale und Transatlantische Beziehungen, die Jeff Rathke in ihrem Seminar gemeinsam mit Master-Studierenden und anderen Interessierten begrüßte.

Mitveranstalter war der Leibniz-WissenschaftsCampus Europa und Amerika in der modernen Welt,  dem Groitl als Ko-Koordinatorin im Forschungsmodul Transatlantische politische Transformationen angehört. In seinem zweistündigen, interaktiven Gespräch mit Studierenden des UR-Masterstudiengangs Demokratiewissenschaft und ihrer Dozentin berichtete Rathke aus dem Zentrum der amerikanischen Politik. Der Deutschland- und Europaexperte hat eine Menge interessanter Dinge zu erzählen: Bevor er in die Think-Tank-Welt wechselte, arbeitete er für das State Department. Unter anderem diente er als stellvertretender Stabschef des NATO-Generalsekretärs in Brüssel und war als Berater und Experte für politische Angelegenheiten von 2006 bis 2009 für die amerikanische Regierung in Berlin sowie an den US-Botschaften in Dublin, Moskau und Riga tätig.

Zu Beginn blickt Rathke auf den Status Quo der transatlantischen Partnerschaft. In den Beziehungen zwischen der EU und den USA sei „viel Energie darauf verwendet worden, die Temperatur zu messen“. Aus seiner Sicht bemerkenswert: Auch wenn es ernsthafte Probleme oder Meinungsverschiedenheiten in den transatlantischen Beziehungen gegeben habe, so dominierte doch immer der Wunsch und das Interesse, diese zu lösen oder wenigstens zu minimieren.

Washington und Berlin

Also, Washington, wie hältst Du’s mit Berlin? Rathke erinnert sein Publikum an die Komplexität der Dinge: Es gebe Angelegenheiten, die für Deutschland von großer Bedeutung seien, die aber auf europäischer Ebene behandelt würden. Zu den gemeinsamen kurzfristigen Herausforderungen gehöre die Unterstützung der Ukraine, und „das Ausmaß der Herausforderung ist erkannt", sagte Rathke, an „beachtliche Ressourcenzusagen“ auf beiden Seiten erinnernd. Natürlich gebe es Meinungsverschiedenheiten über Tempo und Inhalt der Unterstützung sowie über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und der Ukraine. Zugleich aber gebe es aus amerikanischer Sicht größere Herausforderungen – namentlich China. Dessen Politik werde zu konzeptionellen Änderungen und Entscheidungen sowohl in den USA als auch in Europa führen, glaubt Rathke, trotz der weitreichenden wirtschaftlichen Beziehungen.

Deutschland ist der zentrale Schwerpunkt unseres Engagements in Europa.“ Allerdings habe sich der Fokus von Zeit zu Zeit verändert: Rathke verweist auf die Hochphase amerikanischer Weltmacht nach dem Ende des Kalten Krieges, auf Afghanistan, auf den Kampf gegen den islamischen Terrorismus. Die USA seien (wie einst von US-Außenministerin Madeleine Albright proklamiert) „die unverzichtbare Nation", ist Rathke überzeugt. Und: Deutschland hat eben diese Rolle in Europa". Er hält es für unmöglich, dass die USA allein mit Mittel- und Südosteuropa etwas erreichen könnten. Deutschland habe einen „gleichgewichtssuchenden Ansatz für Europa", so der Referent, und „die USA brauchen Berlin, um international ihre Ziele zu erreichen."  Das erfordere ein gewisses Maß an Geduld - und das Aushalten von Frustration: „Deutschland ist zurückhaltend, wenn es um den Einsatz von Gewalt in der Sicherheitspolitik geht, es braucht aufgrund seiner Geschichte eine breite Unterstützung in Europa." Die USA hingegen brauchten einen „Partner in Führung", der bereit sei, Verantwortung zu übernehmen und etwas zu riskieren, sagt Rathke. 

Paris? „Es gibt sehr fein abgestimmte Gleichgewichte in Europa." Frankreich spiele gewissermaßen eine komplementäre zur deutschen Rolle: Frankreich fühle sich durchaus wohl damit, militärische Gewalt einzusetzen, um militärische Herausforderungen zu bewältigen. Washington schätze den Can-Do-Spirit, den Frankreich bei vielen Problemen einbringt". Allerdings seien der französischen Vision einer Rolle Europas als eigenständiger Akteur Grenzen gesetzt: Dreiecks- oder gar bipolare Modelle würden uns nicht sehr weit bringen", davon ist Rathke überzeugt.

Die Rolle Chinas

Welche Rolle spielen China und seine Politik für die transatlantische Partnerschaft? Für Rathke gibt es drei Gründe, warum Deutschland im Fokus der Vereinigten Staaten ist, wenn es um die Annäherung an China geht. Grund eins – die Wirtschaft: Deutschland habe von allen europäischen Ländern die bedeutendsten Wirtschaftsbeziehungen zu China, betont Rathke, insbesondere die deutsche Automobilindustrie habe stark in China investiert. Es handele sich aber nicht nur um eine deutsche Industrie: Alle Donauanrainerstaaten sowie Polen seien in deutsche Autofirmen involviert. Die politischen Entscheidungsträger der USA müssten dies verstehen lernen und bei der Gestaltung ihrer Beziehungen zu Deutschland berücksichtigen.

Der zweite Grund: Deutschland sei der Inbegriff eines in einer regelbasierten Handelsordnung verankerten Landes. Daher sei es für Deutschland und die EU schwierig, über bestimmte politische Grenzen hinauszugehen: „Wenn man - wie die derzeitige US-Regierung und eine Mehrheit der amerikanischen außenpolitischen Experten - glaubt, dass diese regelbasierte Ordnung nicht ausreicht, um den strategischen internationalen Sicherheitsherausforderungen, die sich in der globalen Wirtschaft ergeben, Rechnung zu tragen, dann muss man einen Weg finden, diesen regelbasierten Rahmen durch zusätzliche Elemente zu ergänzen, die die nationale Sicherheit fördern und bewahren und mit der Strategie vereinbar sind." Deutschland sei Teil dieses Weges.

Schließlich nennt Rathke den aus seiner Sicht dritten Grund: Deutschland habe seit seiner Gründung 1949 jegliche Konfrontationen vermieden. Es sei keine gute Idee, Regelungen aus der Zeit des Kalten Krieges zu wiederholen: Deutschland war nicht nur Teil davon, für Deutschland als geteiltes Land sei dies auch schmerzhaft gewesen: „Die USA müssen in der Lage sein, Länder wie Deutschland davon zu überzeugen, dass sie sich nicht auf einen Kalten Krieg 2.0 einlassen, wenn es um ihre Beziehungen zu China geht." Deshalb sei Überzeugungsarbeit notwendig: „Die USA müssen auf die Empfindlichkeiten und Bedenken ihrer großen internationalen Partner Rücksicht nehmen und den Eindruck vermeiden, dass es sich um eine Art Back-to-the-Future-Übung handelt."

Deutschland und der indo-pazifische Raum

Was erwarten die USA von Deutschland? fragt ein Student. „Das ist eine spannende Frage", antwortet Rathke. Tatsächlich gehe es nicht nur darum, was sich die USA wünschten, sondern auch darum, dass einmal mehr eine Diskussion um die Verteilung der Lasten entstehe. Laut Rathke ist das in Washington bereits Thema, da „es absehbar ist, dass China in den nächsten fünf bis 20 Jahren versuchen könnte, Taiwan einzunehmen". In irgendeiner Form werden die USA in diesen Konflikt hineingezogen werden, vermutet Rathke, und wenn nicht direkt, dann „wegen der wachsenden militärischen Fähigkeiten und Ambitionen Chinas": „Die USA müssen sich sicherheitspolitisch und militärisch auf den indopazifischen Raum konzentrieren. Und das bedeutet, dass sie nicht gleichzeitig in Europa das Gleiche tun können." Die USA müssten sofort damit beginnen, ihre Verpflichtungen in Europa zu reduzieren, wenn die Situation im indopazifischen Raum akut werde, argumentiert Rathke, und sie müssten "ihre europäischen Partner dazu bringen, ihre Lasten zu übernehmen."

Nota bene: Bei den Lasten gehe es nicht nur um die Verpflichtungen Deutschlands innerhalb Europas, sondern auch um Deutschlands Rolle im indopazifischen Raum: „Deutschland hat wirtschaftlichen Einfluss in China, es gibt deutsche Unternehmen in China, und Deutschland könnte mit strategischen Momenten konfrontiert werden: etwa, dass man Produktionslinien aus China abziehe. Die USA wünschten sich, dass Deutschland hier „ein wenig konkreter und konsequenter" Flagge zeige und eine Botschaft der internationalen Solidarität sende.

Die nächste Präsidentschaft, der Haushalt, die Ukraine

Am Ende seines Vortrags erinnert Rathke sein Publikum daran, dass amerikanische Präsidentschaftswahlen meist durch die Innenpolitik, nicht die Außenpolitik gewonnen werden. Zwischen jetzt und dem Sommer 2024 gebe es eine wichtige Sache: Der Kongress müsse den Haushalt für die nächsten Jahre verabschieden. Da die für die Ukraine aufgebrachten Mittel ebenso wie die Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte erheblich seien, so Rathke, „ist das die eigentliche Herausforderung". Politische Auseinandersetzungen zwischen der Biden-Administration und der republikanischen Mehrheit im US-Repräsentantenhaus könnten zu einem Shutdown führen, befürchtet Rathke, und eine Diskussion über die Ukraine könnte bei den Vorwahlen aufkommen. Dies sei jedoch ein Nebenschauplatz. Sollte Biden erfolgreich sein. Das sollte uns diesseits des Atlantiks nachts wachhalten", ist Groitl überzeugt, "denn ohne die US-Unterstützung durch die Biden-Administration gäbe es die Ukraine vielleicht nicht mehr."

Doch gibt es auch innerhalb der demokratischen Partei Konfliktlinien? „Es gibt Stimmen, die sagen, die Ukraine kostet uns eine Menge Geld, das wir lieber für unsere Infrastruktur verwenden sollten, etwa im Bereich Bildung“, erzählt Rathke. Aber das seien nicht die Akteure, die die Agenda der Demokratischen Partei bestimmen oder die Debatte dominierten. Die Ukraine präge den Diskurs nicht, es habe keinen parteiübergreifenden Anti-Ukraine-Widerstand gegeben. Die Kritik, die sich die Biden-Administration gefallen lassen musste, ähnelte derjenigen, mit der sich die deutsche Regierung auseinandersetzen musste: Dass die Regierung die Ukraine zu langsam unterstütze und nicht schnell genug Waffen für eine erfolgreiche Gegenoffensive zur Verfügung stellten.

Am Ende von Rathkes Vortrag will ein Student wissen, was sich im Falle einer Rückkehr von Donald Trump ins Amt ändern könne. Es sei möglich, dass Trump nominiert werde, räsoniert Rathke, aber es gebe einige Hindernisse, mit denen der ehemalige Präsident zu kämpfen habe, wie zum Beispiel die Vielzahl von Klagen gegen ihn. „Niemand weiß, wie sich diese Dinge auswirken werden." Hat Trump die amerikanische Gesellschaft gespalten? Die USA seien eine zuweilen ein wenig chaotische Demokratie mit vielen Herausforderungen, sagt Rathke. Aber eine unüberwindbare politische Spaltung sieht er nicht. Man denke an ein Beispiel wie die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zur Abtreibung – es gebe zunehmenden Aktivismus dagegen. Extreme Politiker und extreme Politik stoßen in den Vereinigten Staaten von Amerika auf ernsthafte Ablehnung – dessen ist Jeff Rathke sicher.

twa.

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