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Mitteilungen der Universität Regensburg

„Ende der Zeitzeugenschaft – Zukunft der Erinnerung?“

Podiumsdiskussion in Rahmen einer Interdisziplinären Lehrerfortbildung


17. November 2023

Im Rahmen der Interdisziplinären Lehrerfortbildung „Ende der Zeitzeugenschaft – Zukunft der Erinnerung?“ fand am Donnerstag, 16. November, eine Podiumsdiskussion mit dem Shoa-Überlebenden Ernst Grube, dem Leiter KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, Prof. Dr. Jörg Skriebeleit und der Fachreferentin für Geschichte am Gymnasium am ISB, Dr. Monika Müller, statt. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Regina Schuhbauer (Zentrum Erinnerungskultur). Die Podiumsdiskussion war Teil des Begleitprogramms der Ausstellung „Ende der Zeitzeugenschaft?“, die noch bis Juli 2024 im Oberen Foyer der Universitätsbibliothek Regensburg zu sehen ist. 

Die Podiumsdiskussion im H24 stieß auf großes Interesse.  © Herkommer/Universität Regensburg


Im sehr gut gefüllten Hörsaal 24 der Universität Regensburg diskutierten Ernst Grube, Prof. Dr. Jörg Skriebeleit und Dr. Monika Müller in Anwesenheit von u.a. Universitätspräsident Prof. Dr. Udo Hebel, Prof.in Dr. Ursula Regener, Vizepräsidentin für Internationalisierung und Diversity und Prof.in Isabella von Treskow, Beauftragte für die Gleichstellung von Frauen in Wissenschaft und Kunst der Universität Regensburg, aus unterschiedlichen Blickwinkeln ihre praktischen Erfahrungen und Erkenntnisse aus jahrelanger engagierter pädagogischer Vermittlungsarbeit. Herausforderungen, insbesondere das Erinnern im postmigrantischen Klassenzimmer, kamen in der Diskussion ebenso zur Sprache wie aktuelle Kritik an der deutschen Erinnerungskultur. 

Das Plenum: v.li. Dr. Regina Schuhbauer, Ernst Grube, Dr. Monika Müller und Prof. Dr. Jörg Skriebeleit. © Herkommer/Universität Regensburg


So beschrieb Ernst Grube, Shoa-Überlebender und Zeit seines Lebens in der Vergangenheits- und Aufarbeitungspolitik aktiv, zu Beginn der Diskussion seine negativen Erfahrungen in der Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und wie sich die gesellschaftliche Funktion der Zeitzeug*innen seit Ende des 2. Weltkrieges fundamental geändert hat, von der Ablehnung der Nachkriegsgesellschaft hin zu einer Inbesitznahme durch die heutige Gesellschaft mit dem Bedürfnis nach einem moralischen Kompass. „In der Bundesrepublik wollte man sich nicht erinnern. Meine Familie hat keine Anerkennung gefunden. Es gab keine Unterstützung und fast keine soziale Hilfe. Darüber wollte und habe ich von da an dann erzählt. Nicht als Zeitzeuge, sondern als Überlebender des Faschismus, als Überlebender der Nazi-Verfolgung“, beschrieb Grube die Situation in eindrücklichen Worten. In der Folge habe er begonnen mit den Menschen darüber zu sprechen, wie eine Entwicklung, von der „Ausgrenzung und der Ablehnung bis zur Vernichtung und Tötung von Menschen“, vonstattengeht. Bis in die 1980er-Jahre hinein, sei es ihm als jüdisch-Verfolgter der NS-Zeit aber nicht möglich gewesen, seine Geschichte in den Klassenzimmern der Bundesrepublik Deutschland zu erzählen. Er berichtete von der tiefen Enttäuschung, zu sehen, dass diejenigen, die wegen ihrer politischen Einstellung jahrelang in den Lagern der Nationalsozialisten eingesperrt waren auch nach Kriegsende weiter verfolgt wurden, „wenn sie Kommunisten oder Links waren.“ Grube berichtete von Veranstaltungen, die von der Polizei gestürmt wurden, von Schikane und wie er von der Polizei verprügelt und mehrfach verhaftet wurde. Trotzdem habe er nie aufgehört, die Geschichte zu erzählen. „Die Zeitzeugenschaft hat für mich große Bedeutung. Sie hat mein Leben in den zurückliegenden Jahrzehnten bestimmt“, so Grube. Auch wenn er persönlich immer das persönliche Gespräch bevorzugen würde, verschließe er sich deshalb auch keinem modernen „Medium“. Mittlerweile wurde von Ernst Grube ein dreidimensionales Zeitzeugeninterview, ein sog. „volumetrisches Zeitzeugeninterview“ angefertigt. Seine einzige Bedingung hierfür: Er wolle „nicht zu einer Konserve werden, die auf alles eine Antwort hat.“ 

Ernst Grube berichtete aus seinen Erfahrungen als Shoa-Überlebender und lebenslanger Kämpfer für eine aktive Vergangenheits- und Aufarbeitungspolitik. © Herkommer/Universität Regensburg


Prof. Dr. Jörg Skriebeleit, Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, bestätigte die „zu späte“ Anerkennung und Aufmerksamkeit für Überlebende des NS-Regimes. Zudem beschrieb er eine, bis heute spürbare, Stigmatisierung von u.a. als in der NS-Zeit als „asozial“ verfolgten Personen. „Es gibt bis heute nur einen Zeitzeugenbericht einer als asozial verfolgten Frau. Diese Menschen haben nicht gesprochen, sie konnten nicht sprechen, ihnen wollte keiner zuhören. Es ist eine Gruppe von Menschen, die nicht als Opfer anerkannt sind und bei denen die Bilder des rassistischen, nationalsozialistischen Stigmas bis heute wirken.“ Der Bericht dieser einen Zeitzeugin ist in der Ausstellung „Ende der Zeitzeugenschaft“ zu hören. Bezüglich der modernen technischen Möglichkeiten der Bewahrung von Zeitzeugenberichten, wie den volumetrisches Zeitzeugeninterviews, zeigte sich Skriebeleit skeptisch. Natürlich arbeite auch die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg mit digitalen Medien, jedoch warnte er auch vor dem „digitalen Reflex“, dass alles, was digital ist, auch automatisch besser ist. „Moderne Technik gibt ganz neue Möglichkeiten, aber es hat sich auch gezeigt, dass gerade Schüler*innen oftmals von der Technik, wie beispielsweise Besuche von Originalschauplätzen in der Virtuellen Realität, so abgelenkt werden, dass der eigentliche Inhalt zur Nebensache gerät.“ 

Prof. Dr. Jörg Skriebeleit © Herkommer/Universität Regensburg


Dr. Monika Müller, Fachreferentin für Geschichte am Gymnasium am ISB (Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung), bestätigte die aktuelle Umsetzung der kritischen Auseinandersetzung mit der Erinnerungskultur im bayerischen Lehrplan. „Geschichte spielt in der Welt eine große Rolle und wir haben uns gefragt, wie wir die Schüler*innen befähigen, sich in dieser Welt zurechtzufinden. Es ist für junge Menschen wichtig zu wissen, welche historischen Ereignisse, wie aufbereitet, auf sie zukommen.“ Es sei beispielsweise wichtig beim Thema „Erinnerung an die Kolonialgeschichte“ zu schauen, was die Erinnerung geprägt hat und auch zu lernen, wie sich die Erinnerung verändern lässt – „welche Entwicklungen können wir in unserer Zeit beobachten?“ Das gleiche sei in anderer Form auch mit dem Ende der Zeitzeugenschaft bei der Erinnerung an die Shoa zu beobachten. „Wie gehen wir damit um? Wie findet Erinnerung jetzt und künftig mit neuen digitalen Medien statt? Ganz wichtig für den Unterricht in der 11. Klasse am Gymnasium ist das Nachdenken, das Reflektieren und das Diskutieren darüber.“ Bezüglich des Einsatzes moderner Medien betonte Müller die „Quellenkritik“, die diesbezüglich im Lehrplan festgehalten sei. „Es geht darum, sich über die jeweiligen Formate gemeinsam mit den Schüler*innen auszutauschen. Die modernen Formate werden gefordert und auch angenommen, also muss diskutiert werden, was das beispielsweise für das Verständnis von Zeitzeugenschaft bedeutet, wo sind die Möglichkeiten, wo liegen die Grenzen?“

Dr. Monika Müller © Herkommer/Universität Regensburg


Für den künftigen Umgang mit der Erinnerung, war sich das Plenum einig, könne man sich keinesfalls auf dem bislang Erreichten ausruhen. „Es gibt keinen Königsweg oder einen Masterplan „Erinnerungskultur“, der Menschen in ihren Haltungen fester, diverser oder humanistischer macht. Es ist jeden Tag harte Arbeit“, erklärte Prof. Skriebeleit. 

Universitätspräsident Prof. Dr. Udo Hebel im Gespräch mit Prof. Dr. Jörg Skriebeleit und Prof. Dr. Bernhard Löffler, Professor für Bayerische Landesgeschichte an der Universität Regensburg und Direktor des Zentrum Erinnerungskultur. 


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