Wissenschaftsgeschichten
Ein Besuch bei UR-Professor Dr. Henning von Philipsborn anlässlich seines 90. Geburtstags im März 2024
23. April 2024
Das sorgsame Beobachten hat ihn sein Vater gelehrt, von seiner Mutter hat er den Humor geerbt – zwei Eigenschaften, die Professor Dr. Henning von Philipsborn, Jahrgang 1934 und seit 1971 Professor für Kristallographie und Physik an der Universität Regensburg, bis heute auszeichnen. Am 11. März feierte der Wissenschaftler seinen 90. Geburtstag. Etwa 50 Gäste lud er dazu auf den Campus, die Glückwünsche kamen aus aller Welt. Zu den Gratulantinnen und Gratulanten gehörte auch Universitätspräsident Professor Dr. Udo Hebel, der sich in ein besonderes Gästebuch eintrug.
Der Präsident der Universität Regensburg, Prof. Dr. Udo Hebel (l.), gratuliert Prof. Dr. Henning von Philipsborn (r.) zum 90. Geburtstag. Foto: Julia Dragan / Universität Regensburg
Ein Büro ist Henning von Philipsborns Büro eigentlich nicht. Es ist vielmehr, „Labor und Museum“, wie er es lachend beschreibt. An einem Regal nahe des Eingangs klebt ein Zitat des Radioaktivitäts-Forschers Ernest Rutherford, der zu Marie Curie gesagt haben soll: „It must be dreadful not to have a laboratory to play around in.”
Tatsächlich vermittelt der Raum eine leichte, spielerische Atmosphäre: Sorgsam gepflegte Vitrinen voller beschrifteter Gesteinsproben, bernsteinfarbene Kristalle, grüne Trinkgläser, gelbe Glaskaraffen, geblümtes Porzellan, mit Pechblende bemalte Souvenirtassen, ein Fläschchen portugiesisches Mineralwasser, Tierfigürchen, ein alter Feuermelder, Wüstensand im Glasröhrchen – Kuriosa, die jeden Geigerzähler zum Knattern bringen. Alle diese Objekte sind radioaktiv - beispielsweise mit uranhaltigen Glasuren versehen. Eine ungefährliche Sammlung, versichert von Philipsborn, entstanden in vielen Jahren des Forschens, Reisens und Recherchierens von Strahlungsarten, ihren Eigenschaften, ihren Halbwertszeiten.
Foto: Julia Dragan / Universität Regensburg
Entwickler von Experimentierkästen
Fach- und Spezialbibliothek ist der Raum ebenfalls. Von Philipsborn hat immer Bücher gesammelt. Zu Hause, sagt er, „sind es 1500 Meter“. Eines seiner Lieblingsbücher ist jedoch sein persönliches Gästebuch, in das sich einzutragen von Philipsborn etwa 50 Gäste anlässlich seines 90. Geburtstages am 11. März eingeladen hatte. Der erste Eintrag des grün gebundenen Buchs stammt von 1972.
Seite um Seite enthält es liebevoll kreierte Collagen, die Zeugnis von besonderen Anlässen geben: Hochzeitserinnerungen, Geburtsanzeigen der Kinder, Nachrufe auf die Eltern, dazwischen Kinderzeichnungen, Briefe, ausgedruckte E-Mails – und nicht zuletzt die Glückwünsche zum 90. Geburtstag, aus deren Anlass sich auch Universitätspräsident Professor Dr. Udo Hebel in das Buch einträgt.
An mehreren Tischen im Raum sind Versuchsreihen aufgebaut, es gibt Messgeräte zu sehen, ein Gammaspektrometer, Kalibrierproben, unzählige Laborgefäße. Zwei besondere Objekte, die von Philipsborn entwickelt hat, lassen sich bei ihm ebenfalls ausprobieren: Der „Philion-Experimentier-Koffer“ und ein daraus weiter entwickeltes Experimentiersytem.
Foto: Julia Dragan / Universität Regensburg
Von Radioaktivität und Radiometrie fasziniert
Radioaktivität und Radiometrie faszinieren von Philipsborn seit mehr als 70 Jahren, „ich bin eine Frühgeburt – war schon immer neugierig“, sagt er augenzwinkernd. Sein Vater, Professor für Mineralogie und Lagerstättenkunde an der Bergakademie Freiberg, hat dem jüngsten seiner drei Söhne die Begeisterung für die Mineralogie von früher Kindheit an mitgegeben.
Foto: Julia Dragan / Universität Regensburg
Unter anderem baute sein Vater die im Krieg verschüttete mineralogische Sammlung im Poppelsdorfer Schloss in Bonn wieder auf – der kleine Henning half ihm bei Messungen und Bestimmungen. „Ich bin in mineralogischen Sammlungen aufgewachsen“, erzählt von Philipsborn. Schon in seiner Schulzeit stellte ihm der Vater ein kleines Labor zur Verfügung, mit dem der begeisterte Sohn bei Klassenfesten auch mal ein Feuerwerk produzierte – zur Begeisterung der Mitschüler, wie er lachend erzählt.
Die Welt erkundet
Henning von Philipsborn ging in Freiberg, Clausthal, Weißenburg und Bonn zur Schule. Er begeisterte sich für die englische Sprache, hörte das American Forces Network. Seine guten Sprachkenntnisse brachten ihn an eine US-amerikanische Schule in Amerikas tiefem Süden, wo er als Stipendiat des 1914 in Paris gegründeten „American Field Service (AFS)“ an einem Schüleraustauschprogramm teilnahm. Das Auswahlgespräch, erinnert sich von Philipsborn, fand im Schloss Tutzing statt. Steven Gallatti, AFS-Gründer, empfing Henning von Philipsborn in New York City, und fragte, ob er wisse, wo Mobile, Alabama liege. Dort sollte er zur Schule gehen. Natürlich, antwortete Philipsborn, sich selbst zitierend, “deep South in the land of cotton…”.
1953 begann Henning von Philipsborn sein Studium der Chemie, Physik und Geowissenschaften in Bonn, 1954/55 studierte er an der Pariser Sorbonne Mineralogie und verinnerlichte Voltaire. Seine dritte Station waren Universität und ETH Zürich. 1959 macht er sein Diplom in Physik, mit einem Demonstrationsexperiment zur Messung der Lichtgeschwindigkeit. Nach seiner Promotion mit Auszeichnung im Fach Kristallographie 1964 ging Henning von Philipsborn ein Jahr auf Reisen, nach Afrika und Asien. Er bereiste Ägypten, Afghanistan, den Sudan. In Südafrika unterstützte ihn eine Cousine, die dort als Tierärztin tätig war.
Foto: Julia Dragan / Universität Regensburg
Der Student verständigte sich mit Englisch, Französisch und Deutsch, unter Mineralogen damals eine internationale Sprache. Er übernachtete etwa alle zehn Tage im Hotel und reiste mit öffentlichen Verkehrsmitteln und per Anhalter. Bis heute hat von Philipsborn die Tagebücher, die er dort führte, und viele Fotos in seinem Privatarchiv. Er sei überall freundlich, ja herzlich empfangen worden. Immer hatte er auch ein besonderes Ziel: Uran- und Thorium-Vorkommen, Erzlagerstätten, Bergwerke aufspüren und Proben einsammeln. Oft half die Familiengeschichte, Türen zu öffnen, sagt von Philipsborn. Die Möglichkeiten, die ihm die Eltern und deren Familien eröffneten, sind ihm bis heute Verpflichtung.
Im Anschluss an seine Weltreise arbeitete von Philipsborn bei den Bell Telephone Laboratories und der Radio Corporation of America in den USA und in Zürich. Die Zusammenarbeit mit der Industrie setzte er ab 1971 in Regensburg an der Fakultät für Physik fort, bis 2005 mit den Siemens Forschungslabors in München – dies mit an die 50 betreuten Diplom- und Doktorarbeiten. In 30 Jahren, von 1965 bis 2005, veröffentlichte der Wissenschaftler an die 100 Fach-Publikationen zu Werkstoffen der Mikroelektronik.
Foto: Julia Dragan / Universität Regensburg
Das schönste Labor der Welt
Henning von Philipsborn kommt täglich, auch am Wochenende, auf den Campus, experimentiert, schreibt, empfängt Kolleginnen und Kollegen aus Forschung und Lehre, unterstützt Fachtagungen, berät zu Strahlenschutz-Themen. Aus „dem schönsten Labor der Universität“ blickt von Philipsborn gerne auf den Uni-Campus. Die Welle ist zu sehen, die Brücke über den Teich vor der Universitätsbibliothek.
Die Freude über den schönen Ausblick ist Henning von Philipsborn anzusehen. Sie motiviert ihn, täglich vor Ort zu sein - hinzu kommt eine eiserne (Selbst-)Disziplin und die Freude über die Studierenden, die er für die Forschung im Allgemeinen und die Radiometrie im Besonderen begeistert. Darunter sind Deutschlandstipendiatinnen und -stipendiaten der Mathematik und der naturwissenschaftlichen Fakultäten. Zu deren Fördernden gehört er nun im 13. Jahr. Am Tag des Besuchs bei Henning von Philipsborn sendet gerade einer herzliche Grüße per E-Mail, auf dem Weg nach Seoul.
Henning von Philipsborn hat an die 100 Fach-Publikationen zur Radiometrie veröffentlicht, mehrere Bücher sind darunter, zur Mineralogie ebenso wie zu „Radioaktivität und Strahlenschutz“ – ein Standardwerk, das zwischen 1992 und 2006 in acht Auflagen erschienen ist. Neben der universitären Lehre unterstützte der Wissenschaftler über viele Jahre in Bayern die Ausbildung von Umweltschutz-Ingenieuren zum Thema Strahlenschutz.
Er informierte mit eigenen regionalen Messungen der Radioaktivität die Öffentlichkeit nach den Unfällen in Tschernobyl oder Fukushima. Ab 1986 initiierte er die in Fachkreisen international bekannten Radiometrischen Seminare Theuern, führte sie selbst 70-mal durch, organisierte Ausstellungen und Exkursionen. Lange Jahre war er im Vorstand der Deutschen Mineralogischen Gesellschaft, aktiv beteiligt an deren Tagung 1974 in Regensburg, zusammen mit der International Mineralogical Association in Berlin. Vieles mehr ließe sich auflisten.
Foto: Julia Dragan / Universität Regensburg
Geschichte der Erde in 50 Objekten
Derzeit schreibt Henning von Philipsborn an einer „Geschichte der Erde in 50 Objekten dank der Radiometrie“, mehrere Halbjahresberichte dazu hat er bereits veröffentlicht. Nicht nur Erdgeschichte, Geschichte im Allgemeinen begeistert von Philipsborn. Sein aktuelles Projekt über die Geschichte der Erde in Objekten beginnt übrigens mit einem ganz besonderen Tisch. Das außergewöhnliche Objekt ziert eine steinerne Tischplatte, die fast ein wenig an ein Raubtierfell erinnert und aus dem Paläoproterozoikum stammt, der längsten Ära innerhalb der Erdgeschichte – sie beginnt vor etwa 2500 und endet vor 1600 Millionen Jahren. An diesem Tisch lässt sich viel lernen. Auch lässt sich formidabel eine Tasse Kaffee trinken. Und nicht zu vergessen: Dieser Tage bittet Henning von Philipsborn, sich einzutragen, in das Gästebuch vom 25. November 1972.
twa.
Informationen/Kontakt
Persönlicher Nachtrag von Professor Dr. Henning von Philipsborn:
„Die großen Freuden, die mir zum 90. Geburtstag mit so vielen lieben Wünschen und Überraschungen bereitet wurden, haben mich sehr glücklich gemacht, und dafür danke ich herzlich. Insbesondere danke ich den Universitätsleitungen seit 25 Jahren für die Gewährung des 100 qm großen Raumes an schönem Ort auf dem schönen Campus der Universität. Dies zur Weiterführung meiner Forschung, Lehre und Entwicklung zur Geschichte der Erde in vielen Objekten dank der Radiometrie. Dies dank Verständnis und Unterstützung von sehr Vielen von nah und fern.“
Wer direkt mit Professor Dr. Henning von Philipsborns in Kontakt treten möchte, erreicht ihn unter henning.philipsborn@ur.de