Von Festungen und open lounges
Die Diskussion um die ‚Dritten Orte‘ – öffentliche, eintrittsfreie Lounges, die Menschen selbstverantwortlich nutzen können, haben sich bereits in vielen Bibliotheken etabliert und sind auch in Deutschland in Museen angekommen. Mit diesen Räumen sollen die Barrieren des Museumsbesuchs verringert und ein neues Publikum angesprochen werden. In Zeiten knapper werdender personeller Ressourcen bleibt die Frage, ob diese ‚dritten Orte‘ gänzlich unmoderiert sein sollen. Konsequent kostenlose Eintritte in Museen und Sammlungen, wie es etwa in UK häufig praktiziert wird, steht ebenfalls im Zusammenhang mit dem Anspruch einer breiteren Publikumsansprache.
Die Diskussion um die Öffentlichkeit von Museen ist mit dem jüngsten, das Medieninteresse hoch bewegenden Einbruch im Louvre wieder entflammt. Während der Öffnungszeiten hatten am 19. Oktober mehrere Täter neun Stücke aus der berühmten Schmucksammlung Napoleon Bonapartes und Joséphine de Beauharnais in der Galerie d‘Apollon entwendet. Bezüglich dieses spektakulären Kunstraubs im meistbesuchten Museum der Welt, räumte Frankreichs Kulturministerin Rachida Dati ein Versagen aufgrund des Personalmangels, knapper Kasse und einer falschen Einschätzung der Sicherheitslage ein. Die Kritik an der Kulturpolitik wurde von links- wie rechtsgerichteten Parteien begierig aufgegriffen, der Diebstahl sei vergleichbar mit dem Klau des Familienbesitzes, stoße mitten ins Herz der Grande Nation und sei demütigend, da er anscheinend so banal und einfach durchgeführt werden konnte. Dass dies jedoch mitnichten nur in Paris hätte geschehen können, davon sind an die 70 internationale Museumsdirektor*innen überzeugt, die sich in einer groß angelegten schriftlichen Solidaritätsbekundung der Direktorin des Louvre Laurence des Cars zur Seite stellten, vor allem aber dafür eintraten, das Museum als offenen Ort zu verteidigen. Museen seien mehr und mehr Ziel gewalttätiger Angriffe, verteidigt werden müsse jedoch die Idee des Museums selbst, die Wahrung des Menschheitserbes, aber eben auch des Anspruches, dieses mit möglichst vielen Menschen zu teilen. Als „Orte der Vermittlung und des Staunens“ regen Museen zum Umdenken an, heißt es in der Erklärung. Museen seien „weder Bastionen noch Tresore“ und müssten offen und zugänglich sein, dies sei ihre eigentliche Bedeutung. Doch die Diskussion um Zugänglichkeit und Barrierefreiheit stößt an Grenzen, gerade im Louvre, der im vergangenen Jahr von neun Millionen Menschen besucht worden war. 20.000 Menschen wollen täglich Leonardo da Vincis Mona Lisa sehen und im Zweifel wenig anderes von den restlichen 35.000 Objekten des Museums. Einen Hilferuf, dass diese Publikumsmassen schwer zu stemmen seien, hatte es bereits zu Jahresbeginn vonseiten der Louvre-Chefin Laurence des Cars gegeben. Emmanuel Macron unterstützt nun einen Umbau des Louvre, der 700 bis 800 Millionen Euro kosten wird. Diese ‚nouvelle Renaissance‘ des Louvre wird sich durch erhöhte Kosten, durch Sponsorenverträge und durch den Louvre Abu Dhabi finanzieren lassen müssen. Bis 2031 soll zu der hoffnungslos überlasteten Pyramide ein neuer Eingang für das Museum errichtet werden, und auch die Mona Lisa wird umziehen, um unabhängig vom Rest des Museums in einem speziellen Bereich zugänglich zu sein. Sicherlich sind solche Pläne ein Weg, um mit der Realität der Besuchermassen besser umgehen zu können. Das Ringen um die richtige Balance in Museen als ‚dritten Orten‘, zwischen Öffentlichkeit und Schutz des ‚heritage‘ hat gerade erst begonnen.
Auch diese Ausgabe des Journals liefert als ‚intellektueller Open Space‘ eine reiche Auswahl an Denkanstößen: A Cultural History of Medicine bietet einen historiografisch-epochenübergreifenden Überblick über das Verständnis medizinischer Innovationen. In Taste and the Antique wird nicht minder weit der künstlerische Status antiker Skulpturenreproduktionen in der ästhetischen Aneignung bis ins 19. Jahrhundert verhandelt. Mit Klee – Kandinsky. Briefwechsel–Bildgeschenke–Fotografien liegt erstmals eine sorgfältig edierte und vollständige Quellenausgabe der Korrespondenz der beiden Künstler vor. Der italienische Maler Felice Casorati wird in einem monografischen Mailänder Ausstellungskatalog vorgestellt. Nordlichter zeigt die vielfältige künstlerische Auseinandersetzung mit dem atmosphärischen Licht des Nordens anhand zahlreicher Positionen der Moderne auf. In Otti Berger: Weaving for Modernist Architecture gilt es, das Textildesign der Bauhaus-Künstlerin neu zu entdecken. Offene-Welt-Strukturen untersucht die medialen Spezifika von Computerspielen in einer transdisziplinären Analyse der Visualisierungsstrategien. Erinnern und verantworten. Bernhard Heisig zum 100. Geburtstag eröffnet eine kritische Recherche zum ostdeutschen Erbe des Künstlers in der DDR und den Wechselwirkungen mit der Leipziger Schule. Fotografinnen der 1990er-Jahre werden in Lateness and Longing mit ihrer Adaption analoger Techniken als feministische Gruppierung vorgestellt. Augmented Reality verhandelt das hochaktuelle technisch konturlose Verschwimmen digitaler mit realen Bildwelten im Kontext medientheoretischer Reflexionen. Honoré Daumier. Die Sammlung Hellwig zeichnet das Bild eines politisch pointiert seine Zeit karikierenden Künstlers. Architektur im Anthropozän sucht nach ökologischen Alternativen in der Architektur.
Wie immer danken wir sehr herzlich unseren Autorinnen und Autoren für ihre anregenden Beiträge und unseren Mitarbeiter*innen, federführend Annika Bless und Moritz Niefanger, sowie Charlotte Steinhauer für ihre wertvolle redaktionelle Unterstützung.
Birgit Ulrike Münch Christoph Wagner
Das Vorwort und das Inhaltsverzeichnis zum Download.